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Nazigold

Nazigold

Titel: Nazigold
Autoren: Paul Kohl
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um sich zu vergewissern, dass
nichts vergessen worden war. Dabei liess sie sich die Theorie des Patrons durch
den Kopf gehen. Es sprach einiges dafür: der grobe Sinn für Humor, die Art und
Weise, wie die Baronin hergerichtet worden war, und nicht zuletzt die mit einer
scharfen Klinge ausgeführten Zerstörungen. Aber nahmen Studenten ihre Säbel
oder Degen oder was immer es war, womit sie sich ihre Schmisse zufügten, wirklich
mit in die Sommerfrische?
    Ein X kennzeichnete jede Bahn der zerschlissenen Tapeten. Im Lambris
darunter waren die Paneele beschädigt worden – man hatte Teile der
Intarsienarbeiten herausgebrochen. Weggezerrte Bodenleisten lagen die Wände
entlang verstreut. Vergebliche Versuche, das Parkett aufzubrechen, hatten
unschöne Spuren hinterlassen. Dazu war wohl eher ein Stemmeisen als ein Säbel
benutzt worden, und es musste eine Heidenarbeit gewesen sein – was beides
gegen eine studentische Täterschaft sprach.
    Anna war sich inzwischen sicher, dass hier nicht sinnlos zerstört,
sondern systematisch nach etwas gesucht worden war. Beunruhigt ging sie mit
ihrer Schadensliste ins Direktions-Bureau.
    Nach dem Abendessen vertiefte sich Herr Bircher in seinem
Bureau gerne in Privatkorrespondenz. Er pflegte mit diversen Honoratioren und
Berühmtheiten, die das Splendid beehrten, einen regen Briefwechsel, der dazu
diente, die Loyalität jener Gäste gegenüber dem Haus zu stärken; zudem
vermittelten diese Schreiben Herrn Bircher ein Gefühl von Bedeutung. Doch heute
wurde er dabei von der Gouvernante gestört, was ihn in eine gereizte Stimmung
versetzte. Ungeduldig lauschte er ihren Ausführungen.
    Nun war er über Fräulein Staufers Gewissenhaftigkeit weniger erfreut als
am Morgen. Wenn es etwas gab, was er an ihr auszusetzen hatte, so war es diese
Art von geistiger Unabhängigkeit, die weder ihrem Stand noch ihrem Geschlecht
angemessen war und die man durchaus als Impertinenz auffassen konnte. Nun ja,
wenn man einen halben Blaustrumpf einstellte, musste man mit solchen Dingen
wohl oder übel rechnen, aber es war schon ärgerlich.
    «Ich bitte Sie, Fräulein Staufer, machen Sie mir nicht die Pferde wild»,
meinte er scharf und verwünschte sie und das kleine Notizbuch in ihren Händen.
«Wenn Sie solche Geschichten verbreiten, haben wir schon bald keine Gäste mehr
im Haus. Und überhaupt, wozu die Räume durchsuchen, wenn man dann doch nichts
stiehlt? Die Juwelen der gnädigen Frau befinden sich noch alle in der
Schmuckkassette – es wurde rein gar nichts gestohlen. Das ergibt überhaupt
keinen Sinn, ich will davon nichts mehr hören!» Langsam und deutlich
wiederholte er seine Erklärung vom harmlosen studentischen Schabernack, als ob
er zu einem Kind, das etwas schwer von Begriff war, sprechen würde, und
entliess sie dann ungnädig.
    Zwei Tage später reiste die Frau Baronin frühzeitig ab. Eine
kleine Prozession von Portiers erschien schwer bepackt mit Koffern,
Hutschachteln und Reisetaschen im Vestibül. Alle, die sich trotz des Rufes der
Gnädigen ein wohlverdientes Trinkgeld erhofften, versammelten sich beim
Haupteingang. Anna, die wusste, was von der Freifrau zu erwarten war,
beobachtete das Geschehen aus dem Hintergrund.
    Nach dem Gespräch mit Herrn Bircher hatte sie ihre Bedenken wegen des
Vorfalls für sich behalten. Wenn der Patron es so wollte, dann hatte sich hier
ein akademischer Scherz zugetragen und damit basta. Aber Anna war froh, dass
die Dame nun abreiste.
    Frau Baronin erschien gekleidet in ein dunkelrotes Kostüm mit schwarzen
Samtbesätzen, dazu trug sie einen Hut mit asymmetrischer Krempe. Das Ensemble,
das ihren Gatten wohl einiges gekostet hatte, liess die Dame grösser und
schlanker aussehen, als sie war.
    Die elegante Erscheinung verschwand im Bureau des Direktors, wo sie aber
nicht lange verweilte. Schon bald darauf tauchte die Frau Baronin leicht
echauffiert wieder im Vestibül auf und rauschte hocherhobenen Hauptes an
hoffnungsvoll blickenden Zimmermädchen, Portiers und Kellnern vorbei aus dem
Haus, gefolgt von der verschüchterten Zofe, die mit gesenktem Blick hinter
ihrer Herrschaft hertrippelte.
    Normalerweise geleitete Herr Bircher seine Gäste bis zum Ausgang und
verabschiedete sich in aller Form. Kein Zweifel, im Bureau war es zu einer
unschönen Szene gekommen. Vielleicht hatte der Patron der Dame nahegelegt, sich
für ihre nächste Sommerfrische ein anderes Hotel zu suchen.
    Herr Ganz bestätigte Anna diese Vermutung am Abend und meinte: «Na
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