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Julia(n) an Kruecken

Julia(n) an Kruecken

Titel: Julia(n) an Kruecken
Autoren: Sissi Kaipurgay
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Julia(n) auf Krücken
     
     
    Na super! ‚Bewegen Sie ihren Fuß sechs Wochen nicht, und dann sehen wir weiter‘, hat der Arzt gesagt. ‚Sie haben doch bestimmt jemanden, der Ihnen hilft‘, hat er hinzugesetzt. Ich bin dann hinkend raus und irgendwie bis zur nächsten Apotheke gekommen, habe dort die Krücken erhalten, die den vornehmen Namen ‚Unterarmstütze‘ tragen und bin nach Hause gehumpelt. Dabei hatte der Tag so gut angefangen.
     
    Ich war ausgeschlafen, der Kaffee schmeckte, doch dann – beim Schuhe anziehen – passierte es: Es machte ‚knack‘ und plötzlich konnte ich den Fuß nicht mehr bewegen, ohne dabei höllische Schmerzen zu haben. Ich also gleich den Chef angerufen, krankgemeldet, ein Taxi besorgt und beim Arzt schöne zwei Stunden in den ‚Men’s Health‘ Magazinen geschmökert, bis ich endlich aufgerufen wurde.
    Überweisungsschein zum Röntgenarzt, der zum Glück gleich gegenüber residierte. Dort erneut eine Stunde herumgesessen, glasige Augen gekriegt vor Langeweile und nach dem Besuch der Röntgenkammer zurück zu meinem Hausarzt. ‚Angebrochen‘, hat der schlicht diagnostiziert und nun stehe ich hier.
     
    Nein, ich habe niemanden, der mir helfen könnte. Meine Eltern leben weit weg, meine Schwestern auch, und mein letzter Freund ist vor einem halben Jahr ausgezogen. Somit stehe ich ganz allein auf der Welt, zumindest, was den täglichen Bedarf angeht. Freunde habe ich zwar, aber keiner davon ist so eng mit mir, dass ich es wagen würde, ihn um einen Gefallen zu bitten. Meinen Ex schon gar nicht, der würde glatt sexuelle Gefälligkeiten einfordern. Bah!
     
    Ich sitze in der Küche und gucke mit trübem Blick aus dem Fenster. Was soll ich nun machen? Der Kühlschrank ist leer, denn ich wollte nach der Arbeit einkaufen gehen. Mit Hobbys ist bei mir auch nicht viel los, allerdings könnte ich mal wieder malen, hab ich früher gern getan, doch ich hab überhaupt kein Material hier.
    Die letzten Jahre bin ich voll in der Arbeit aufgegangen, auch ein Grund dafür, dass Thomas mich sitzenlassen hat. Sollte ich kürzer treten? Doch wofür? Seit meinem Ex-Freund habe ich keine Lust mehr auf einen Kerl, der mich ohnehin nur betrüge würde. Oh ja, darin war Thomas groß. Er muss ganz Hamburg begattet haben in der Zeit, in der wir zusammen waren. Mir wird immer noch schlecht, wenn ich daran denke.
    Vor dem Haus hält jetzt ein Auto und eine Frau springt heraus, gefolgt von einem Mann. Das muss mein neuer Nachbar sein. Ich mustere den Kerl, der die langen Haare im Nacken zusammengebunden trägt. Er ist riesig, bestimmt über eins neunzig, und sieht recht kräftig aus. Die Frau legt jetzt einen Arm um seine Taille und beide kommen auf das Haus zu. Schnell ziehe ich den Kopf ein.
    In den letzten zwei Tagen war es nebenan recht laut gewesen. Leute schleppten Möbel und Kartons, es wurde gehämmert und abends wohl gefeiert, der Musik und dem Stimmengewirr nach zu urteilen. Die Frau, die vorher neben mir gewohnt hat, ist ins Altenheim gezogen, ich kannte sie nur flüchtig. Obwohl es hier nur sechs Parteien gibt, kenne ich kaum jemanden davon. Liegt wohl eher an mir, denn ich gehe morgens früh aus dem Haus und komme abends spät wieder heim. Ging. Vergangenheit. Jetzt sitze ich hier und es ist vorbei mit Gehen. Hüpfen ist angesagt.
     
    Nach einer Weile höre ich Stimmen im Treppenhaus, eine Tür klappt und die Frau läuft zum Auto, dreht sich um und winkt. Hübsch ist sie, das muss ich schon zugeben, doch ich steh nicht auf Frauen. Kann an meinen vier Schwestern liegen, dass ich schwul geworden bin. Sie haben mich immer verhätschelt und wahnsinnig gemacht. Frauen reden so viel und ständig soll man ihre Gedanken lesen.
    Es läutet an meiner Tür, unerwartet und plötzlich. Erschrocken zucke ich zusammen, schnappe mir die Krücken und komme mühsam hoch. Ungeschickt humple ich durch die Küche, den Flur und öffne die Tür einen Spalt.
    „Hallo, ich bin Romeo Salzberg und ihr neuer Nachbar“, sagt der Riese und lächelt freundlich.
    Er streckt mir die Hand entgegen, dann fällt sein Blick auf meine Krücken und er lässt sie sinken.
    „Oh“, macht er, „Entschuldigung. Ein Unfall?“
    „Ja, beim Schuhe anziehen“, antworte ich trocken, „Ich bin Julian Bengström, hallo.“
    Es herrscht einen Moment Schweigen, in dem der Nachbar auf meinen Fuß starrt, dann schaut er mir ins Gesicht und fragt: „Wann?“
    „Vorhin.“ Ich seufze und verziehe den Mund schief. „Es hat meine
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