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Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eine Gruppe Soldaten kam ins Haus, holte ihn aus dem Bett, führte ihn in den Wald und stellte ihn an einen Baum.
    »Sie sind ein großer Könner, Genosse«, sagte der Offizier, der mit einem Wagen bereits wartete. »Rußland kann ungern auf Sie verzichten. Aber wenn es sein muß … schon wegen der Moral, Sie verstehen, Genosse?! Im Wettrennen mit dem Westen kann sich keiner eine Sabotage leisten, das müssen Sie begreifen. Wenn Sie allerdings weiterarbeiten wollen wie bisher –«
    Sedow wollte es. Wer will ein Held sein, wo das Unabänderliche stärker ist? Man führte ihn also wieder zurück in die weiße Stadt, er ging zu seinem Arbeitsplatz und baute die Apparate zur Messung der Strahlungen außerhalb der Raumkapsel.
    Aber schweigsam wurde er. Nicht mehr lachen sah man ihn, im Kino saß er nicht mehr und auch nicht in der stolowaja-Kantine, wo man abends Karten spielte oder Schach. Er saß nur immer in seinem Haus, und Falten bekam sein Gesicht.
    Ihn frißt die Liebe auf, spotteten die anderen. Er ließ sie lachen. Etwas anderes war's, was in ihm bohrte … ein Wahnsinn, zugegeben, aber zu einem Lebensinhalt wurde er: Man müßte in den Westen können … in den Westen …
    Sedow begann, Rußland zu hassen. Das ist das Schrecklichste, was einem Russen geschehen kann. Nur der kann's ermessen, der es liebte.
    Und so ging die Zeit dahin, man wußte gar nicht, wo die Tage blieben … es schneite, es blühte, es reifte … und dann war wieder der Eiswind da, die Wolga fror zu und Luka holte die Pelze aus dem Mottenschrank.
    Im Kreml änderte sich wieder etwas. Malenkow trat ab, und der kleine, rundliche Chruschtschow regierte plötzlich, und Bulganin wurde Staatspräsident, sie reisten herum und lächelten, drückten die Hände aller Politiker und machten allenthalben Kopfschmerzen in den Ministerien, von London bis Peking und von Tokio bis New York. Nicht mehr auskennen tat man sich mit den Sowjets, und das ist arg für einen Diplomaten.
    An einem Abend im Frühling 1961 begleitete Anatoli Doroguschin, ein wenig fetter geworden und nun mit fast weißen Haaren, Natascha Tschugunowa in den Kreml. Im Innenministerium erwartete sie ein hoher Staatsbeamter und begrüßte Natascha mit einem Handkuß. Freunde, man sieht daran die große Änderung der Zeit! Wo gab es das, daß ein Genosse die Genossin auf die Hände küßt?! Man hätte früher so etwas in ein Irrenhaus gesteckt.
    Also – ich wiederhole es, weil's so selten war – der Genosse Staatsbeamte küßte Nataschas Hand und sagte:
    »Eine erfreuliche Nachricht für uns alle: Endlich, endlich ist es soweit. Wir können die Gastspielangebote der westlichen Opern annehmen! Wir haben unseren Staatszirkus herumgeschickt … es war ein großer Erfolg. Wir haben im Fußball, im Kunstturnen, im Eiskunstlauf, auf der Olympiade und im Konzertsaal den Namen unseres Vaterlandes berühmt gemacht … nun soll die Krönung kommen: Natascha Tschugunowa wird die Opernhäuser der ganzen Welt erobern! Für das Ansehen Rußlands! Ist das nicht ein großer Tag, Genossen?!«
    »Wie eine Morgenröte!« rief Doroguschin poetisch.
    »Nur eines ist noch da«, sagte der Beamte. »Die Politik.«
    »Ich singe Opern und keine Parteilieder«, antwortete Natascha.
    »Genauso ist's.« Der Beamte wurde ernst und dienstlich. »Schon Ihre Antwort, Genossin, verletzt die Politik. Darum sind wir hier zusammengekommen. Sie sind nicht nur eine Sängerin, sondern Sie sind der Repräsentant des ganzen Volkes. Ein Botschafter der Kunst gewissermaßen. Botschafter Sowjetrußlands! Nicht vermeiden lassen wird es sich, Ihnen vor der Reise in den Westen einige Schulungen zu geben, Sie verstehen? Sie müssen immun sein gegen alles, was man über Rußland sagt. Häßliches sagt man über uns … und der Applaus, der Ihnen entgegenbrandet, ist propagandistisch; versuchen wird man, Sie hinüberzuziehen um uns zu schaden. Es hat einige Genossen gegeben, die sich verschachern ließen … nun sind sie in New York oder Paris oder London, und das Heimweh zerfrißt sie. Das möchten wir vermeiden, Natascha Tschugunowa, in Ihrem Fall.« Der Beamte räusperte sich und blickte auf ein Bild Lenins, als sehe er es zum erstenmal. »Man muß bedenken, daß uns der Genosse Ingenieur Sedow sehr, sehr viel wert ist. Er hat Gagarin geholfen, in den Weltraum zu fliegen und die USA weit zu überrunden. Ein Genie, dieser Sedow, wirklich. Aber er wäre sehr gefährdet, wenn seine Frau sich westlichen Tendenzen zuwendete –«
    »Ich
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