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Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bin Leutnant der Roten Armee«, sagte Natascha steif. »Ich trage den Leninorden, ich habe für mein Vaterland gekämpft … eine Beleidigung ist's fast, mit mir so zu reden …«
    Der Staatsbeamte nickte mehrmals. »Wir verstehen uns, ich bemerke es mit großem Wohlgefallen. Das macht mich fröhlich, Ihnen etwas zu verraten. Genosse Chruschtschow will Sie nicht in die Welt reisen lassen ohne eine besondere Ehrung. In Kürze werden Sie auch noch den Staatspreis erhalten, Natascha Tschugunowa. Sie sind damit die höchstgeehrte Künstlerin.«
    Doroguschin klatschte in die Hände. »Den Staatspreis!« rief er laut. »Welche Ehre! Welche Freude!« Natascha stimmte nicht in seinen Ausbruch ein. Mit ernstem Gesicht, unbeweglich stand sie da. Doroguschin kitzelten die Haarwurzeln. Wie dumm, dachte er. O je, wie dumm. Nie lernt sie es, daß sie nicht mehr die Wölfin aus den Sümpfen ist.
    »Wann singe ich?« fragte Natascha. Der Beamte sah auf eine lange Liste.
    »Es beginnt im Januar 1962 in Rom. Dann Wien, Mailand, Neapel. Im März New York und San Francisco. April in London und Paris –« Der Beamte reichte Natascha eine eng beschriebene Seite über den Schreibtisch. »Hier Ihre Partien. Tosca, Madame Butterfly, Leonore in ›Troubadour‹, Senta in ›Fliegender Holländer‹, Desdemona in ›Othello‹ und die Aida.«
    »Ein wundervolles Programm!« ließ sich Doroguschin vernehmen. »Es zeugt von großem Geschmack, Genosse –«
    Natascha knickte das Papier zusammen und schob es in ihre Handtasche. »Das ist alles, Genosse?«
    »Ja. Nur noch ein kleiner Wunsch ist da, ein persönlicher Wunsch des Chefs des GRU. (Der militärische Spionageapparat.) Ein großer Verehrer Ihrer Kunst ist er, der Genosse General. Er läßt Sie grüßen –«
    »Und –?«
    »Es wird sich so arrangieren lassen, daß bei den Festbanketten auch die Attachés der westlichen Militärs um die Gunst bitten, mit Ihnen zu soupieren. Seien Sie großherzig, Natascha Tschugunowa, und hindern Sie die Herren nicht, wenn sie von ihren Nöten und Sorgen sprechen. Ein offenes, frauliches Ohr ist stets wie heilende Salbe gewesen –«
    »Ich verstehe«, sagte Natascha steif.
    Der Beamte reichte ihr die Hand. Nur mit Widerwillen nahm sie sie und ließ sie schnell wieder los.
    »Viel Glück und Erfolg, Genossin.«
    Ohne Dank verließ Natascha mit Doroguschin den Kreml. Erst im Wagen befleißigte sich Doroguschin, einen Tadel loszuwerden.
    »Beobachten wird man Sie jetzt!« stöhnte er. »Wie kann ein Mensch so unklug sein?! Was haben Sie, Natascha, gegen die Regierung? Nie ist's Rußland besser ergangen als jetzt! An der Spitze der Welt stehen wir! Wie soll man Sie verstehen?«
    »Ich suche Freiheit!« sagte Natascha hart. »Gekämpft habe ich für sie, zwei Männer, die ich liebte, habe ich für sie geopfert … Freiheit, Doroguschin! Wissen Sie, was das ist?«
    Doroguschin senkte den Kopf. Leise sagte er: »Verlernt habe ich's … es lebt sich dann gesünder –«
    Man sprach nicht weiter mehr davon.
    Die große Reise hatte begonnen. In Rom sang Natascha Tschugunowa die Tosca. Der italienische Staatspräsident saß in der Loge, alle Minister waren gekommen, die Diplomaten und auch der sowjetische Botschafter. Das Funkeln der Geschmeide blitzte bis auf die Bühne … im Foyer der Oper war ein Kaltes Büfett aufgebaut mit Dingen, die Natascha nie gesehen hatte. Auch Luka umkreiste es. Einen dunklen Anzug trug er, und obgleich ihn dieser etwas menschlich machte, wagten die Köche nicht zu protestieren, als Luka eine silberne Platte mit kalter Gänsebrust in Aspik vom Büfett nahm und sich damit geruhsam in eine Ecke setzte. »Gut, Genossen, gut!« lobte er. »Ein zartes Hühnchen fürwahr … Wißt ihr, auf der Sowchose ›Ukraine‹ mästet man zehntausend flinke Hühnerchen …«
    Anatoli Doroguschin führte ihn schließlich ab, als Luka eine Platte mit Aalen anging. Der Chefkoch hatte verzweifelt um Hilfe telefoniert. Hinter der Bühne setzte Doroguschin den Riesen auf ein Mauerstück, das im letzten Akt für das Bühnenbild der Engelsburg gebraucht wurde, und sagte: »Ich schicke dich zurück, wenn du das Ansehen des Vaterlandes schädigst!«
    »Nicht mal ein Pröbchen Essen gönnt man mir!« schrie Luka. Aber er war friedlich, aß seinen Aal und warf nur die leere Silberplatte mit dem Papierspitzendeckchen Doroguschin an den Frack, als dieser an ihm vorbeiging. Einen Fettfleck gab's auf dem seidenen Revers, und Doroguschin hob die Fäuste.
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