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Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schweiß vom Gesicht. »Es ist immer gut, wenn der Mensch an irgend etwas glaubt –«
    Während Luka die Koffer packte, schrieb Natascha einen langen Brief. Ungeduldig stampfte Doroguschin herum, sah auf seine Uhr und stopfte dann Wäsche und Kleider in die Koffer. Er mußte es tun, denn Luka saß gequälten Gesichtes auf einem Stuhl und hielt sich den Magen fest.
    »Wieder pumpen werden sie!« schrie er. »Kirschen habe ich gegessen, und zwei Steine sind im Magen! Natascha, Nataschka … sag es ihnen, daß es nur Kirschen sind.«
    Der Wagen des Wachkommandos, der vor dem Hause wartete, hupte mehrmals. Doroguschin schleppte die Koffer hinaus und trat Luka gegen das Schienbein. »Los! Nimm deinen Sack«, rief er. Dann rannte er zurück zu Natascha, die den Brief verschloß und auf den Tisch legte. Dann trat sie an das Fenster und sah hinüber zu den weißen, langen Gebäuden, in denen Menschen und Tiere vorbereitet wurden, in den Himmel geschossen zu werden.
    »Du wirst ihn wiedersehen!« sagte Doroguschin. »Bald schon, bestimmt! Liebst du ihn denn noch?!«
    Natascha senkte den Kopf. »Es hatte wieder begonnen –«, sagte sie leise. »Nun wird es wie eine ewige Nacht werden … Leid tut er mir, der liebe Luka Nikolajewitsch.«
    Der Wagen hupte wieder. Luka kletterte auf den Sitz. Bleich sah er aus. Die Kirschkerne machten ihm ernstlich Sorgen.
    »Komm«, sagte Doroguschin. »Ich habe das Gefühl, daß du dich selbst belügst, Natascha …«
    Sie antwortete nicht. Einen Schal band sie um die langen, schwarzen Haare. Staubig war's auf den Wegen zu den vier Kontrollen, und wie durch Mehl gezogen sah man aus, wenn man den kleinen Bahnhof von Jessey erreicht hatte.
    Es ist ein Jammer mit den gründlichen Beamten, Freunde. Lukas Kirschkerne – wen wundert's noch? – erregten Mißfallen. Die Röntgenkontrolle zeigte sie im Magen, und so sehr Luka auch schrie und einen großen Tisch durchs Fenster warf, so eindringlich Doroguschin auf die rasende Zeit hinwies und Natascha bezeugte, daß es nur Kerne seien … man legte Luka auf den Tisch und pumpte ihm wieder den Magen aus.
    »Genauso sehen Kapseln mit Mikrofilmen aus«, erklärte der Offizier als Entschuldigung seines Tuns. »Es geht nun nicht anders, Genossen! Man muß seine Pflicht tun!«
    Die Kirschkerne kamen zum Vorschein und wurden als ungefährlich identifiziert. Luka schwankte vom Tisch und lehnte sich bleich an die Wand.
    »Ihr räudigen Hunde!« stöhnte er. »O ihr Dreckgeburten!«
    »Sie können passieren!« sagte der Offizier und grüßte. »Eine gute Fahrt wünsche ich! Grüßen Sie mir Moskau.«
    »Eine Bombe schicke ich dir!« brüllte Luka und stampfte Natascha nach.
    »Auch die Pakete werden geröntgt!« rief der Offizier und lachte.
    Der Zug wartete noch auf sie. Man hatte angerufen beim Bahnhofsvorstand. Es gebührt Luka der Ruhm, die russische Eisenbahn mit seinem Magen aufgehalten zu haben. So etwas kann sich hören lassen!
    Natascha sah nicht aus dem Fenster, als der Güterzug mit dem angehängten Personenwagen wieder durch die sibirische Unendlichkeit davonfuhr. Ich lasse sie zurück, meine Vergangenheit, dachte sie. Endgültig wird sie begraben sein in einem Wald bei Jessey. Armer, armer Sedow … nicht glauben wollten wir, daß es möglich ist, die Seele eines Menschen an die Leinen eines Puppenspielers zu knüpfen. Sie haben es getan, und nun tanzen wir an unsichtbaren Fäden. Und merkwürdig ist's, daß wir es nicht empfinden, sondern manchmal glücklich sind … Ob man dazu ein Russe sein muß? Wer will's beantworten …?
    Natascha sang in Moskau, in Prag und in Bukarest. Herumgereicht wie ein riesiger Edelstein wurde sie, ausgestellt, bewundert, mit Blumen und Lob überschüttet. Viermal warf Luka feurige Verehrer die Hoteltreppe hinunter und neunundvierzigmal gaben ahnungslose Blumenhändler große Buketts ab, an denen Briefe mit Heiratsanträgen hingen. Luka schlug ihnen die Sträuße um die Ohren, und da es meistens Rosen waren, rannten die Händler fluchend und jammernd mit zerkratzten Gesichtern davon.
    Doroguschin war wie immer sehr zufrieden. Natascha fragte nicht mehr nach Luka Nikolajewitsch Sedow. Zwar schrieb sie ihm, aber das alte Spiel setzte sich fort, daß die Briefe im Kreml liegenblieben. Die Post aus Jessey verschwand ebenfalls. Zwei Tage hatte Sedow gewütet, als er am Abend sein Haus verlassen fand und den Brief Nataschas gelesen hatte. Er trat in den Streik und legte sich ins Bett, um zu hungern. Aber nicht lange, denn
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