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Grabeskaelte

Grabeskaelte

Titel: Grabeskaelte
Autoren: Maren Schwarz
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Prolog
    1978
    Kaum war der letzte, die Mitternachtsstunde verkündenden Glockenschläge verklungen, lösten sich zwei Gestalten aus dem Schatten einer alten knorrigen Eiche. Ein abschließender Schluck aus der mitgebrachten Schnapsflasche und sie waren bereit, ihren verruchten Plan in die Tat umzusetzen. Obwohl erst sechzehn Jahre alt, kannten sie keinerlei Skrupel. Auch äußerlich unterschieden sie sich von den meisten ihrer Altersgenossen. Sie waren beide groß und von stämmiger Statur. Sie besaßen derbe Gesichtszüge und in ihrer beider Augen lag ein Ausdruck von Verrohung. Schon lange warteten sie darauf, endlich ihre Verwegenheit unter Beweis zu stellen. Als sich vor einem Jahr herumgesprochen hatte, dass eine Gruppe von Satanisten auf dem Friedhofsgelände ihr Unwesen trieb, schlossen sie sich ihnen kurzerhand an. Doch schon bald mussten sie ernüchtert feststellen, dass das Lesen schwarzer Messen nicht ihrem Geschmack entsprach. Rasch fingen die sich immer wiederholenden Rituale sie zu langweilen an. Nach einem Vierteljahr setzten sie sich von der Gruppe ab und begnügten sich fortan damit, in düsteren Mondnächten hinter verwitterten Grabsteinen zu rauchen und sich mit Alkohol vollaufen zu lassen. In dieser Nacht jedoch wollten sie erstmals etwas anderes ausprobieren. Die Gegebenheiten hätten nicht günstiger sein können. Es war Ende Oktober. Die fast vollständig kahlen Zweige der uralten Kastanien und Eichen, von Nebelschwaden umwoben, boten die ideale Kulisse für ihr schauriges Vorhaben. Morsche Zweige knackten unter ihren Füßen, als sie auf verschlungenen Pfaden den Weg zur Gruft der von Zwieloffs ansteuerten. Die von Zwieloffs, denen vor dem zweiten Weltkrieg die größte Baumwollspinnerei der Stadt gehörte, ließen sich als Zeichen ihres Wohlstands die mit Abstand prächtigste Gruft auf dem gesamten Friedhofsgelände errichten. Im Laufe der Jahre starben jedoch nach und nach sämtliche Abkömmlinge dieses einst einflussreichen Adelsgeschlechtes aus. Erst in der vergangenen Woche hatte man Alexandra von Zwieloff, die nunmehr letzte in der einst ansehnlichen Ahnenreihe beigesetzt.
    Die Gruft befand sich im äußersten Nordosten des von einem Zaun umschlossenen Friedhofs. Sie war ein viereckiger, mit runden Säulen gestützter Bau. Unter einer dicken Betondecke mit der in goldenen Lettern eingemeißelten Aufschrift „Ruhe in Frieden“ stand ein menschengroßer aus Granit geschlagener Engel. Er hielt seine Hände zum Gebet gefaltet und sah mit entrücktem Blick zum Himmel. Zwei steinerne Stufen führten zu einem kunstvoll verzierten schmiedeeisernen Gitter. Dahinter lag ein kleiner Raum unter dem sich die Gruft befand. Auf den Steinplatten, die diese bedeckten stapelten sich Kränze, mehrere Rosengestecke und ein welkendes Blumenmeer, dem der Geruch der Vergänglichkeit entströmte. An der Wand im Hintergrund hingen schlichte Messingtafeln, die Zeugnis darüber ablieferten, wer hier seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Zwei einsame Grablichter warfen gespenstische Schatten an die Wände. Eine Weile verharrten Maik und Uwe zögernd vor dem Gitter, das ihnen den Eingang versperrte. Der Ruf eines einsamen Käuzchens zerriss die Stille der Nacht. Der milchige Schatten des Mondes war für eine kurze Weile durch zwei Wolkenfetzen hindurch erkennbar. Trotz ihres nicht unbeträchtlichen Alkoholspiegels im Blut schauderten beide zusammen. Erst vor kurzem hatten sie, als Zeichen ihres unerschütterlichen Mutes, abwechselnd damit begonnen sich hinter mannshohen Grabsteinen, im Schutz der Dunkelheit und nur vom Schein einer flackernden Kerze erhellt, Bram Stokers Dracula vorzulesen. War es da ein Wunder, dass Uwe jetzt und hier die nächtliche Friedhofsszene darin vor Augen stand? Fröstelnd zog er seine Jacke über der Brust zusammen. Es hätte ihn nicht gewundert, durch den Nebel, der immer dichter zu werden schien, geisterhaft gespenstisch blasse Wesen mit blutroten Lippen und eiskalten begehrlichen Blicken auf sich zukommen zu sehen. Entschlossen holte er die Brechstange, die sich unter seiner dick gefütterten Jacke befand, hervor. Obwohl Uwe und Maik keine Fliegengewichte waren, bereitete es ihnen sichtliche Anstrengungen die Kette des Schlosses, welche die Gruft versperrte, aufzuhebeln. Ächzend knarrte die Gittertür in ihren Angeln, als die beiden Jungen sie endlich vorsichtig öffneten. Sie begutachteten den Boden vor sich. Wenigstens eine der dicken Steinplatten musste beiseite gerückt
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