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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
Autoren: Antonia Michaelis
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»Nur Grünes.«
    Dann streckte er unvermittelt die Hand aus, um ihre zu schütteln, und sagte: »Friedel. Friedel Häberle. Wo wohnst du? Wie gefällt es dir? Wollen wir einen Kaffee trinken gehen? Du siehst aus, als hättest du etwas auf dem Herzen.«
    Svenja zögerte. Dies, dachte sie, war die Gelegenheit, jemandem von dem Kind zu erzählen.
    »Ich wüsste gerne«, murmelte sie, »wie es reingekommen ist …«
    Friedel sah sie an, fragend.
    »Mir ist da was zugelaufen«, erklärte Svenja. »Ein K… anarienvogel.«
    »Zugeflogen«, sagte Friedel und grinste. »Hat er dir seine Adresse nicht gesagt, damit du ihn zurückbringen kannst? Schwäbische Kanarienvögel sind sehr ordentlich.«
    »Er schweigt«, sagte Svenja. »Es ist ein sehr hartnäckig schweigender Kanarienvogel. Und ich glaube, ich muss zurück zu ihm. Ich habe ein bisschen Angst, dass er die Wohnung zerlegt.«
     
    Sie ging die Straße hinunter. Friedel fuhr nach ein paar Metern mit dem Rad an ihr vorüber und winkte. Die braunen Rastalocken flogen ihm hinterher wie ein vergessener Gedanke. Seltsam, sie hatte sich eine geschlagene Zigarette lang gewünscht, jemand würde kommen und sie ansprechen. Und dann kam jemand und sprach sie an, und sie ging nicht mit ihm mit. Dabei war er nett, wirklich, aber ein wenig auch wie ein junger Hund. Noch jemand, der einem zuläuft …
Svenja Wiedekind, du weißt nicht, was du willst.
    Aber so ist das mit achtzehn in einer neuen Stadt, es ist erlaubt, nicht zu wissen, was man will. Vielleicht sogar nötig.
    Wer zu genau weiß, was er will, bewegt sich ständig nur in eine Richtung.
     
    Der Nachmittag lag warm und sanft auf der Stadt, die Luft war golden mit kleinen grünen Punkten.
    Auf der Mauer neben der Neckarbrücke saßen die Menschen wie Vögel auf der Stange, man bekam Lust, einen von ihnen zu schubsen. Sie stellte sich dazu und sah auf die winzigen glänzenden Wellen hinunter. Blendete allen Lärm aus – die Autos, die Klingeltöne der Handys, die Straßenmusikanten.
    Es gab Augenblicke, in denen sie einen gewissen Grad an Melancholie brauchte. Man konnte die Melancholie selber machen, wie Origami-Vögel. Wenn sie in den Fluss fiel, würde das Wasser sie auflösen, denn es war nur eine Melancholie aus buntem Papier.
    »Ich habe ein wenig Angst, in die Wohnung zurückzugehen«, flüsterte Svenja. »Zu diesem Kind.«
    Auf den Neckarwellen schwammen Stocherkähne voll mit Maigesichtern, Melodien und Bierflaschen. Svenja sah dazwischen die Schrammen auf einem bloßen Oberkörper schwimmen.
    Sie drehte sich um und ging in die sechste Himmelsrichtung, die es in Tübingen zusätzlich zu den fünf anderen gibt: nach Hause.
    Die Wohnung am Jakobusplatz fühlte sich noch nicht an wie zu Hause, aber Svenja würde dafür sorgen, dass sich das änderte. Ein Zuhause ließ sich selber machen. Wie Origami-Melancholie.
     
    Auf einer der grauen Steinbänke hinter der Kirche saß ein Mädchen im Schneidersitz und schnitt auf einem Holzbrett grüne und orange-rote Dinge in sehr kleine Scheiben. Noch eine Studentin. Vielleicht. Sie trug ein graues T-Shirt und graue Jeans, sie verschmolz quasi mit der Steinbank, die Farben lebten nur unter ihren Händen, die mit sicheren, irgendwie brutalen Bewegungen unaufhörlich schnitten. Das Messer war scharf.
    Svenja räusperte sich. »Kochst du? Hier draußen?«
    »Nein«, sagte das Mädchen. »Ich schneide Gemüse.« Es hatte ein spitzes Gesicht, wie ein kleines Tier. Sein Haar war sehr schwarz und so kurz, dass man die Form des Schädels exakt ausmachen konnte.
    »Wohnst du zufällig da drüben?«, fragte das Mädchen und nickte zu dem Haus hin, an dem der wilde Wein in einer Frühabendbrise wippte.
    Svenja nickte. »Ist dort etwas … passiert?«, fragte sie vorsichtig.
    Ist ein Kind aus dem Fenster gesprungen? Hat eine aufgelöste Mutter oder ein jähzorniger Vater versucht, die Tür einzutreten?
    »Die Post war da«, sagte das Mädchen. »Das hier passte nicht in den Briefkasten.« Sie griff unter ihr Schneidebrett und schob Svenja einen großformatigen Umschlag zu. Dann exekutierte sie weiter Gemüse.
    »Post … von meiner Mutter.« Svenja lächelte.
    »Leipzig«, sagte das Mädchen. »So. Svenja aus Leipzig. Ganze Ecke weit weg.«
    »Hm«, sagte Svenja. Sie sah zu den beiden Fenstern ihrer Wohnung hoch. Das Küchenfenster stand noch immer offen. Das Schlafzimmer ging zur anderen Seite, es hatte kein Fenster.
    »Wie kommt man in diese Wohnung, wenn man nicht durch die Tür
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