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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
Autoren: Antonia Michaelis
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als hättest du eine WG mit mir gegründet.«

2 Fenster
    Sie aß das Rührei mit dem Löffel, in stummer Gesellschaft des Küchenfensters, vor dem die Kirche leise atmete. Unten in den Straßen summte ein Bienenstock an Abendgeräuschen. Der Löffel wurde schwer in der Hand, das Summen draußen zu einem Schlaflied für Mädchen mit bunten Garnsträhnen, und der lange Tag legte sich auf sie wie Blütenblätter. Nein, keine Blütenblätter – Stückchen von gelbem Fettgewebe, Neckarwellen, frisch geschnittene Karottenscheiben …
    Sie legte den Kopf für einen Moment auf die Arme, schloss die Augen – und erwachte mit einem Ruck.
    Draußen, in der Dunkelheit, glühten die Schlaflichter der Stadt. Svenja stand auf, mühsam, sie fühlte sich völlig eingerostet.
3 : 32
, sagte das Handy. Verdammt. Das war sicherlich zu spät für »später«. Sie tappte hinüber ins Schlafzimmer, um auf dem Bett weiterzuschlafen. Als sie sich bis auf die Unterwäsche ausgezogen hatte, fiel ihr das Kind ein.
    Sie fand ihre Taschenlampe und leuchtete vorsichtig unter das Bett. Dort lag nur ein Stück Nacht.
    Svenja stand auf und knipste das Deckenlicht an. Nichts. Niemand im Kleiderschrank, niemand im Küchenschrank, niemand im Bad. Svenja ging noch einmal hinunter, riss einen Holunderast ab und klemmte ihn unter der Haustür fest, sodass sie nicht mehr zufallen konnte. Sodass man von außen sah, dass sie nicht abgeschlossen war. Sodass jemand, der hinausgegangen war, zurückkommen konnte.
    Dann ging sie die kalten Stufen hinauf und legte sich ins Bett.
     
    Als sie das nächste Mal aufwachte, zeigte der Wecker neben dem Bett
5 : 15
.
    Sie lauschte einen Moment lang in die Nacht. Da war etwas wie das Japsen eines Hundes. Svenja knipste die Taschenlampe an und kniete sich damit vor das Bett. Das Kind war wieder da. Es lag zusammengerollt auf der Seite, die Augen fest geschlossen, und aus seiner Kehle drang das Japsen. Oder vielleicht war es ein Schluchzen. Sehr leise, aber sehr laut in der Nacht. Die Nacht war kühl.
    »Hey, hey«, flüsterte Svenja und legte dem Kind eine Hand auf die Schulter. »Alles ist gut.«
    Natürlich war das gelogen. Sie hatte keine Ahnung, ob alles gut war und was, wenn es schlecht war, schlecht war und ob es wieder gut werden konnte.
    Das Kind rührte sich nicht, lag nur da und gab diese merkwürdigen Geräusche von sich. Es hielt etwas im Arm, das sie nicht genau erkannte. Ein Tuch oder einen Schal, blau oder grau, verblichen. Auf dem Blau oder Grau war ein dunkles Muster, das aussah, als wäre die Farbe eher zufällig in den Stoff gesickert. Vielleicht war es keine Farbe. Vielleicht war es etwas anderes. Schlamm, Wagenschmiere, Kaffee …
    »Hey«, wiederholte Svenja. »Ich bin es nur, die, bei der du eingezogen bist.«
    Wo warst du? Du warst doch weg. Du warst irgendwo, wo du diesen alten Lappen aufgegabelt hast.
    Was bedeutet das alles?
    Sie fragte nicht. Vielleicht hörte das Kind sie ohnehin nicht, vielleicht schlief es fest und schluchzte im Schlaf. Sie deckte es wieder mit dem Handtuch zu. Morgen, dachte sie, als sie zurück ins Bett kletterte. Morgen würde es hell sein, und sie würde sich das Tuch und das Kind genauer ansehen, und dann würde sie eine Lösung für alles finden. Nur nicht jetzt.
     
    Und dann klingelte der Wecker, und es war Morgen, und es war diesmal acht Uhr dreißig. Der Platz unter dem Bett war leer. War das eine Art Regel? War das Kind jedes zweite Mal nicht da? Sie würde es irgendwo finden, vielleicht im Kühlschrank, vielleicht machte es Kopfstand in der Butter.
    Das blaue oder graue Stück Stoff lag noch immer unter dem Bett, zu einem kleinen Knäuel zusammengerollt. Svenja holte es hervor und hielt es ins Licht. Auch im Licht war nicht zu sagen, welche Farbe es hatte. Es war höchstwahrscheinlich ein Halstuch. Die dunkle Flüssigkeit schien hineingelaufen zu sein, als es längs gefaltet gewesen war, sie hatte das Tuch nur streifenweise gefärbt.
    Svenja schüttelte den Kopf, schlüpfte in die Jeans und das weite weiße Hemd und tappte barfuß in Richtung Bad, das Tuch in der Tasche, um es dem Kind zurückzugeben. In zwei Stunden musste sie beim Histologiekurs sein.
    Bitte bringen Sie einen spitzen Bleistift mit, Zeichenblätter werden ausgeteilt. In der ersten Stunde werden die Unterschiede von Knorpel, Knochen, Bindegewebe, Fettgewebe und Muskel demonstriert.
    Entschuldigen Sie, kann ich ein altes Halstuch mitbringen und es unters Mikroskop legen?
    Svenja öffnete die
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