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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis
Autoren: Jeet Thayil
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hatte angefangen, sich einen Bart wachsen zu lassen, rasierte sich aber noch Wangen und Oberlippe. Und sie trug zwar keine Burka, war ansonsten aber züchtig gekleidet, was man von den meisten Frauen um sie herum nicht gerade behaupten konnte, Frauen jeder Farbe und jeden Alters, die allein kamen, um zu tanzen. Sie tanzten und begutachteten sich dabei in den Spiegeln. Männer brachten ihnen Drinks und scherzten mit ihnen. Sie sprachen kaum Hindi und nur wenig Englisch, waren aber fließend in anderen, unidentifizierbaren Sprachen.
    »Hier gibt es keine Muslime«, sagte Jamal, »also kann es nicht falsch sein, ihnen Drogen zu verkaufen.«
    Farheen lachte.
    »Eigentlich«, sagte er, »ist es sogar unsere Pflicht.«
    •••
    Er tanzte nicht gern: Er kam sich dabei blöd vor. Komm schon, Soldat, sagte Farheen, ich zeig dir, wie es geht. Weigerte er sich, würde sie allein tanzen. Also ließ er sich auf die Tanzfläche führen. Der Tanz war verrückt und schön, Menschen aller Rassen und Klassen, vereint im selben Rhythmus. Manche schwankten, als wären sie zu high, um noch stehen zu können, andere bewegten nur die Hüfte. Metallisches Licht sank in Schwaden nieder. Es war, als stünde man auf einer Bühne, doch niemand schaute zu. Jamal spürte an seinem Rücken die Brüste einer Frau, spürte andere Leiber an Hüfte und Schenkel. Dann küsste ihn Farheen. Sie steckte ihm die Zunge in den Mund, die Lippen kalt und feucht vom Cocktail. Einen Moment lang standen sie vollkommen still, dann löste sie sich, um ihm ins Ohr zu rufen: Tanz, tanz oder wir sterben.

3 Die Erfüllung
    Am nächsten Tag ging ich erneut hin und traf Rashid in seinem Zimmer an, wie er im Sessel am Fenster saß, die Gebetsperlen in der Hand. Ich fragte, ob er sich besser fühle.
    »Mir geht es nie gut oder besser, über das Alter bin ich hinaus. Für mich gibt es nur noch schlecht oder schlechter.«
    Ich sagte, ich sei gekommen, um ihm meinen Respekt zu erweisen.
    Rashid erwiderte: »Ich bin ein alter Mann; ich mag nicht über die alten Zeiten reden«, dann aber kam er selbst darauf zu sprechen.
    »Garad hat alles kaputt gemacht. Wären wir beim Opium geblieben, könnte mein Laden noch offen sein, und ich nähme jeden Tag Geld ein, statt hier im Sessel zu sitzen und wenn, wenn, wenn zu sagen. So viele Menschen könnten noch leben: Dimple, sogar dein Freund, der Verrückte mit dem Hammer. Nein, der vielleicht nicht, dieser Schwesternficker.«
    Statt wie alle anderen behenchodh zu sagen, sprach Rashid das Wort behen ko chodhu aus, was es arabisch klingen ließ, ein kehliges Stimmräuspern.
    »Rumi«, sagte ich.
    »Ja, der. Kam hier mit einem Satz Zähne an, einem alten Gebiss in einem Marmeladenglas. Behauptete, das hätte Mahatma Gandhi gehört, und wollte es mir für zehntausend Rupien verkaufen. Ich sagte, Mann, du bist verrückt, außerdem ist dies hier eine Chandu Khana, keine Pagal Khana. Das gefiel ihm. Er sagte, es seien Gandhis Zähne, hundertprozentig echt, mit Geld-zurück-Garantie. Er sagte, er habe sie von einem Mann, der sie von einem Mann hatte, der sie Gandhis Sohn gestohlen habe, dem Säufer, der von seinem Vater so vernachlässigt wurde. Er sagte, die Regierung würde mir dafür eine Belohnung zahlen, und sagte all das so laut, dass die Leute über ihn lachten. Ich stellte mir die Schlagzeile vor: Muslimischer Drogenhändler kauft Gandhis Zähne, und sagte, er solle sie aus der Khana rausschaffen, bevor es deshalb einen neuen Aufstand gebe. Also rauchte dieser Pagal ein bisschen Garad und verschwand wieder. Das Marmeladenglas mit den Zähnen hat er dagelassen.«
    Das Mädchen kam und brachte ein Tablett mit Tee und Keksen.
    »Jahre später«, fuhr er fort, »bin ich ins Bhavan College zu einem Vortrag von einem der Enkel Gandhis gegangen, einem Gelehrten. Hinterher habe ich ihn gefragt, ob es stimme, was Rumi erzählt hatte, dass nämlich der alte Mann seine Familie vernachlässigt habe. Und weißt du, was er mir geantwortet hat?«
    »Ich könnte es nicht einmal erraten.«
    »Er sagte, die Kinder hätten vielleicht ein wenig unter seiner Achtlosigkeit gelitten, aber der nächsten Generation sei es dafür umso besser ergangen. Natürlich prahlte er. Er sagte, mag sein, die Sünden der Väter suchen ihre Kinder heim, aber was sie Gutes taten, das kommt den Enkeln zugute. Er war ein großer, leichenblasser Mann mit einer Brille, die für sein Gesicht zu groß war. Er wirkte verärgert und sagte, ich verstünde von Gandhi nicht das
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