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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis
Autoren: Jeet Thayil
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in der Bar, und das Gedränge war größer als in der Grant Road Station zur Rushhour.
    »Ist das die Hölle?«, wisperte Farheen, die von der Menge an ihn gepresst wurde.
    »Nein«, erwiderte Jamal, »das ist Kokain.«
    Was zweifellos zutraf, eine Kokain-Phantasie, in Szene gesetzt von einem Bollywood-Fachmann für Spezialeffekte, denn jede Oberfläche, wohin man auch sah, glänzte, der Tresen, die flachen Tische, die Sessel und Barhocker. Überall wurde mit neuen Handys hantiert oder mit Laptops, die ebenfalls glänzten, Geräte aus Aluminium, Stahl oder weißem Plastik. Die Decke bestand aus aberhundert zylindrischen Leuchtkörpern, die im Takt der Musik ihre Farbe änderten. Sogar die Toilettenkästen hatten seitlich Rillen für die Drogen. Er konnte es auf ihren Gesichtern sehen, konnte es in der Luft riechen: Kokain, MDMA und Ecstasy, neue Drogen fürs neue Bombay.
    Der Russe, mit dem er verabredet war, saß unweit der Toiletten allein in einer Ecke der Lounge, die für jene Männer und Frauen gedacht war, die auf ihre Partner warteten. Und was taten diese Partner? Die mageren Frauen und muskulösen Männer, die Jamal um sich sah, machten nicht den Eindruck, als verschwendeten sie ihre Zeit mit solch gewöhnlichen Aktivitäten wie Kacken oder Pinkeln. Sie ließen sich auf den Toiletten Zeit und kehrten schniefend zurück, mit starrem Lächeln im Gesicht. Sein eigenes Lächeln war allerdings durchaus nicht aufgesetzt. Er wusste, was er hier sah, nämlich eine ungeheure Gelegenheit, die sich aus vielen einzelnen kleinen Gelegenheiten zusammensetzte. Während er mit dem Russen verhandelte, einem massigen, Mantel tragenden Mann, der niemals lächelte, versuchte er, seine Begeisterung zu verbergen. Sie schlossen den Deal direkt am Tisch ab; Jamal gab dem Russen Koks, und der gab ihm Cash. Dann sagte der Mann, er wolle eine kleine Kostprobe nehmen. Ob sich Jamal ihm anschließe? Jamal erwiderte, er nähme kein Koks, da er davon nervös werde, und wenn er nervös werden wolle, dann zöge er Kaffee vor, der sei billiger und verlässlicher. Der Russe blickte ihn überrascht an und sagte, vermutlich habe Jamal recht, doch sei es besser, er behielte solche Ansichten für sich, da er gewiss nicht wolle, dass seine Kunden davon Wind bekämen.
    »Sind Sie Russe?«, fragte Farheen.
    »Ja, Russe«, erwiderte er.
    »Ich habe noch nie einen Russen gesehen«, sagte Farheen.
    »Ich heiße Boris«, sagte der Mann, »wie Boris Jelzin, nur trinke ich nicht so viel.«
    Farheen erwiderte, sie wisse nicht, wer Boris Jelzin sei.
    »Als ich aufwuchs«, sagte Boris, »habe ich indische Filme gesehen.
Awara, Mera Naam Joker
. Ich mag Raj Kapoor.«
    Farheen wusste nicht, wer Raj Kapoor war, und sagte es ihm.
    Jamal lächelte. »Sie hat von diesen Filmen noch nie gehört; sie ist zu jung.«
    Der Russe lächelte nicht. Er sagte: »Ob jung oder alt, man sollte wissen, wer Raj Kapoor war. Ein großer indischer Künstler.«
    »Wir haben immer noch großartige Schauspieler. Kennen Sie Dilip Kumar? Phantastisch, besser als Raj Kapoor. Und wissen Sie, wie er in Wirklichkeit heißt?«
    Der Russe stand auf, nahm seine Zigaretten, das Handy sowie das schwere, silberne Feuerzeug an sich, zögerte einen Augenblick und verließ dann den Tisch.
    »Yusuf«, rief Jamal dem Mann hinterher, der sich einen Weg durch die Menge bahnte. »Yusuf Khan!«
    •••
    Farheen trug Jeans, weil er sie darum gebeten hatte, und ihre Absätze waren so hoch, dass sie fast so groß war wie er. Sie sagte, sie wolle einen Drink, denn das bestellten sich die Leute doch, wenn sie in einen Club gingen, nicht? Sie redete, als rechnete sie mit Widerspruch. Besorg mir ein schicken Drink, sagte sie und zeigte auf eine Schwarze in einem Kleid, die aus einem langstieligen Glas einen rosafarbenen Cocktail trank. Als er mit Farheens Getränk zurückkam, nippte sie daran und lächelte dankbar. Sie schaute zu den Lichtern an der Decke, die sich von Gold zu Blau färbten, dann auf die vielen Menschen um sie herum, die tanzten, wo immer sie gerade Platz fanden, und fragte, ob er ein schlechtes Gewissen habe, weil er Drogen an Leute verkaufe, die nie gelernt hatten, nein zu sagen, die für ihren eigenen Untergang bezahlten. Jamal musterte sie scharf. Schau dich um, sagte er, das hier sind meine Kunden. Siehst du irgendwelche Muslime? Woher willst du wissen, dass keine hier sind?, fragte sie. Sieh uns an, wir sind auch Muslime, sehen aber nicht wie welche aus. Was nicht ganz stimmte. Jamal
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