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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln
Autoren: Haruki Murakami
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Insektenspray eingaste und ich Zuflucht in einem der benachbarten Schweineställe suchen mußte.
    Sturmbandführer studierte Geographie an einer staatlichen Universität.
    »Ich beschäftige mich mit Ka-Ka-Karten«, erklärte er mir bei unserer ersten Begegnung.
    »Du interessierst dich für Landkarten?« fragte ich.
    »Hmm, wenn ich die Uni fertig habe, will ich fürs japanische kartographische Institut arbeiten und Ka-Ka-Karten machen.«
    Die Vielfalt der Interessen und Lebensziele auf dieser Welt beeindruckte mich tief. In meiner Anfangszeit in Tōkyō hatte diese Erkenntnis zu meinen ersten und eindrücklichsten Überraschungen gehört. In der Tat wäre es doch sehr nachteilig, wenn es nicht zumindest einige Menschen mit einem Interesse, ja, sogar einer Leidenschaft für Landkarten gäbe. Sonderbar fand ich allerdings, daß jemand, der das Wort »Karte« nicht einmal aussprechen konnte, ohne zu stottern, Mitarbeiter des staatlichen kartographischen Instituts werden wollte.
    »Wa-wa-was ist denn dein Hauptfach?« fragte er mich.
    »Theater«, erwiderte ich.
    »Du meinst, Theater spielen?«
    »Nein, nein, Dramen lesen und theoretisch arbeiten. Racine, Ionesco, Shakespeare und so.«
    Abgesehen von Shakespeare hatte er keinen der Namen je gehört. Allerdings wußte ich selbst über diese Autoren kaum mehr als ihre Namen, und die hatten im Vorlesungsverzeichnis gestanden.
    »Na ja, jedenfalls magst du Theaterstücke«, sagte er.
    »Ach, nicht besonders.«
    Die Antwort verunsicherte ihn, und wenn er verunsichert war, verschlimmerte sich sein Stottern. Ich fühlte mich schuldig.
    »Mir wäre eigentlich alles recht gewesen«, sagte ich zu ihm. »Ethnologie oder asiatische Geschichte hätten es auch getan. Ich hatte nur gerade Lust auf Theaterwissenschaft. Das ist alles.« Natürlich befriedigte ihn diese Erklärung keineswegs.
    »Versteh ich nicht«, sagte er mit wirklich verständnislosem Gesicht. »Ich ma-ma-mag Ka-ka-karten, deshalb studiere ich Ka-ka-kartographie, und dafür bin ich extra nach Tōkyō auf die Uni gekommen und kriege Geld von zu Hause. Bei dir ist es doch genauso, oder?«
    Natürlich hatte er recht. Also verzichtete ich lieber auf weitere Erklärungen zur Wahl meines Studienfachs. Anschließend losten wir mit Streichhölzern die Betten aus. Er bekam das obere, ich das untere.
    Seine Garderobe bestand tagaus tagein in einem weißen Hemd, einer schwarzen Hose und einem marineblauen Pullover; sein Haar trug er kurzgeschoren. Er war groß und hatte hohe Wangenknochen. Zur Uni ging er natürlich immer in Uniform. Schuhe und Mappe glänzten tiefschwarz. Er vermittelte in allem den Anschein eines Studenten aus dem rechten Lager. Deshalb nannten ihn auch alle Sturmbandführer, obwohl er sich in Wirklichkeit nicht die Bohne aus Politik machte und die Uniform nur trug, um sich nicht um die Auswahl seiner Kleidung kümmern zu müssen. Sein Interesse galt ausschließlich solchen Themen wie der Veränderung von Küstenlinien oder der Fertigstellung eines neuen Eisenbahntunnels. Wenn sich die Gelegenheit bot, stotterte er stundenlang unverdrossen auf seine bedauernswerten Gesprächspartner ein, bis sie entweder die Flucht ergriffen oder einschliefen.
    Jeden Morgen um sechs, wenn die Hymne ertönte, sprang er aus dem Bett und strafte damit jeden Lügen, der behauptet hätte, die gravitätische Flaggenzeremonie sei für die Katz. Er zog sich an und ging ins Bad, um seine Morgentoilette vorzunehmen, wozu er Ewigkeiten brauchte. Man hätte meinen können, er nähme jeden Zahn einzeln heraus, um ihn zu putzen. Wieder im Zimmer, schüttelte er knallend sein Handtuch aus und hängte es zum Trocknen über die Heizung. Bis er seine Zahnbürste und Seife ordentlich zurück ins Regal gelegt hatte, war es Zeit für die Morgengymnastik im Radio.
    Ich las meist bis spät in die Nacht und schlief bis acht, so daß ich, wenn er im Zimmer zu rumoren und nach den Anweisungen aus dem Radio zu turnen begann, noch im Halbschlaf lag. Zumindest, bis der Teil der Übungen mit den Sprüngen kam. Damit weckte er mich unweigerlich. Bei jedem Sprung – und er sprang sehr hoch – war die Erschütterung so gewaltig, daß sich das Bett vom Boden hob. Drei Tage lang hielt ich durch, da man uns eindringlich erklärt hatte, daß das Gemeinschaftsleben ein gewisses Maß an Duldsamkeit erfordere, doch am Morgen des vierten Tages hielt ich es nicht länger aus.
    »Hör mal, kannst du deine Übungen nicht auf dem Dach oder sonstwo machen«, sagte ich
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