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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln
Autoren: Haruki Murakami
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Gedanken versunken. Der Nachrichtensprecher im Fernsehen berichtete, daß am heutigen Sonntag alle Ausflugsorte überfüllt gewesen waren. Und wir sind von Yotsuya bis nach Komagome getrabt, dachte ich.
    »Du bist gut in Form«, sagte ich, als ich meine Nudeln aufgegessen hatte.
    »Überrascht dich das?«
    »Ja, schon.«
    »In der Mittelstufe war ich Langstreckenläuferin und konnte zehn, fünfzehn Kilometer am Stück laufen. Das kam wohl auch, weil mein Vater mich von klein auf sonntags immer in die Berge mitgenommen hat. Gleich hinter unserem Haus fängt ja schon das Gebirge an. Da habe ich natürlich kräftige Beine gekriegt.«
    »Das sieht man nicht.«
    »Ich weiß. Alle halten mich für ein sehr zartes Mädchen. Aber der Schein trügt.« Ein kaum wahrnehmbares, winziges Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie das sagte.
    »Tut mir leid, aber ich bin fix und fertig.«
    »Entschuldige, jetzt habe ich dich den ganzen Tag durch die Gegend gehetzt.«
    »Aber ich bin froh, daß wir uns mal unterhalten konnten. Das haben wir noch nie gemacht, nur wir beide, meine ich«, sagte ich, obwohl ich nicht den geringsten Schimmer mehr hatte, worüber wir uns angeblich unterhalten hatten.
    Geistesabwesend spielte sie mit dem Aschenbecher, der auf dem Tisch stand.
    »Also, wenn es dir recht wäre – ich meine, wenn es keine Last für dich wäre –, könnten wir uns dann vielleicht wieder einmal treffen? Selbstverständlich weiß ich, daß es mir nicht zusteht, dich um so was zu bitten.«
    »Es steht dir nicht zu?« fragte ich erstaunt. »Was meinst du damit?«
    Sie wurde rot. Vielleicht hatte ich allzu erstaunt reagiert.
    »Ich kann’s nicht erklären«, verteidigte sie sich. Dabei streifte sie die Ärmel ihres Sweatshirts bis zum Ellbogen hoch und zog sie dann wieder herunter. Im Schein des elektrischen Lichts schimmerte der Flaum auf ihren Armen wunderhübsch golden. »Eigentlich wollte ich es anders ausdrücken, aber mir ist nichts Besseres eingefallen.«
    Naoko stützte die Ellbogen auf den Tisch und betrachtete eine Weile den Wandkalender, als hoffte sie, dort einen passenderen Ausdruck zu entdecken. Doch natürlich fand sie keinen. Sie seufzte, schloß die Augen und spielte an ihrer Haarspange herum.
    »Ist doch egal«, sagte ich. »Ich verstehe schon ungefähr, was du sagen willst. Außerdem wüßte ich selbst nicht, wie man das ausdrücken kann.«
    »Ich kann nicht gut reden. Das ist schon lange so. Wenn ich etwas sagen will, kommen immer genau die falschen Worte raus. Ich sage das Falsche oder sogar das Gegenteil. Wenn ich versuche, mich zu korrigieren, mache ich alles nur noch schlimmer, so daß ich zum Schluß selbst nicht mehr weiß, was ich eigentlich sagen wollte. Ich habe das Gefühl, als ob ich irgendwie zweigeteilt wäre und meine eine Hälfte der anderen nachjagte. In der Mitte steht ein dicker Pfeiler, um den ich mich rundherum jage. Mein eines Ich kennt die richtigen Worte, aber mein anderes kann es nicht einholen.«
    Naoko hob den Kopf und sah mir in die Augen. »Verstehst du, was ich meine?«
    »Das geht fast jedem manchmal so«, erwiderte ich. »Man versucht, etwas Bestimmtes auszudrücken und wird nervös, wenn es nicht klappt.«
    Naoko blickte leicht enttäuscht drein. »Nein, das ist wieder etwas anderes«, widersprach sie ohne weitere Erklärung.
    »Egal, jedenfalls würde ich dich gerne wiedersehen. Sonntags habe ich immer Zeit, und etwas Bewegung täte mir auch ganz gut.«
    Wir nahmen die Yamanote-Linie, und Naoko stieg in Shinjuku in die Chūō-Linie um. Sie wohnte etwas außerhalb in einem kleinen Apartment in Kokubunji.
    »Findest du, daß ich anders rede als früher?« fragte mich Naoko beim Abschied.
    »Ein bißchen anders, ja. Aber ich weiß nicht, was anders daran ist. Ich hab dich damals zwar oft gesehen, aber ich glaube nicht, daß wir uns viel unterhalten haben.«
    »Hmm, stimmt. Kann ich dich dann also nächsten Samstag anrufen?«
    »Klar, ich warte darauf«, sagte ich.
    Zum ersten Mal war ich Naoko im Frühling der elften Klasse begegnet. Sie ging ebenfalls in die elfte Klasse und war auf einer noblen, von einer christlichen Mission geführten Mädchenschule. Die Schule war so vornehm, daß allzu großer Lerneifer dort als unfein galt. Naoko war die Freundin meines besten (und einzigen) Freundes Kizuki. Die beiden kannten sich fast von Geburt an, denn ihre Familien wohnten kaum zweihundert Meter voneinander entfernt.
    Wie bei den meisten Paaren, die sich seit ihrer Kindheit kennen,
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