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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln
Autoren: Haruki Murakami
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Doppelzimmer verteilt, während die älteren Studenten Einzelzimmer bewohnten. Die Doppelzimmer waren etwas über sechs Tatami groß und ein wenig schlauchartig. Gegenüber der Tür befand sich ein Fenster mit Aluminiumrahmen, vor dem zwei Schreibtische und zwei Stühle so aufgestellt waren, daß man Rücken an Rücken arbeiten konnte. Links von der Tür stand ein Etagenbett aus Metall. Die ganze Ausstattung war äußerst robust und spartanisch. Außer dem Bett und den Schreibtischen gab es noch zwei Spinde, ein Kaffeetischchen und ein paar Einbauregale. Selbst ein sehr wohlwollender Betrachter hätte den Raum nicht als reizvoll bezeichnen können. Auf den Regalen der meisten Zimmer türmten sich Transistorradios, Haartrockner, Tauchsieder und Kocher, Instantkaffee, Teebeutel, Zuckerwürfel und einfaches Geschirr, in dem man Fertigsuppen zubereiten konnte. An den Wänden klebten Pin-ups aus Heibon Punch oder irgendwo geklaute Pornofilmposter. Aus Witz hatte jemand ein Bild von zwei kopulierenden Schweinen aufgehängt, aber so etwas war eine Ausnahme; üblich waren Fotos von nackten Frauen, jungen Schauspielerinnen oder Sängerinnen. In den Regalen über den Schreibtischen reihten sich die üblichen Lehrbücher, Lexika und Romane.
    Da die Bewohner ausschließlich junge Männer waren, befanden sich die Zimmer meist in üblem Zustand. Am Boden der Abfalleimer klebten schimmlige Mandarinenschalen, die Zigarettenkippen standen zehn Zentimeter hoch in den als Aschenbecher verwendeten leeren Dosen, die, wenn sie zu schwelen begannen, mit Kaffee oder Bier gelöscht wurden und dann säuerlich vor sich hinstanken. Alles Geschirr war irgendwie schwärzlich, überall lag undefinierbarer Müll herum. Verpackungen von Fertigsuppen, leere Bierflaschen und Deckel von wer weiß was waren über den Boden verstreut. Niemand kam auf die Idee, den ganzen Schrott einmal zusammenzufegen und in die Abfalltonne zu befördern. Jeder Windzug wirbelte Staubwolken auf. Dazu miefte es in allen Zimmern fürchterlich. Zwar hatte jedes Zimmer einen eigenen charakteristischen Geruch, aber die Komponenten waren stets die gleichen. Schweiß, Körperausdünstungen und Müll. Schmutzige Wäsche wurde unters Bett geschmissen, und da niemand sein Bettzeug regelmäßig lüftete, verströmten die schweißgetränkten Matratzen einen unsäglichen Gestank. Noch heute erscheint es mir wie ein Wunder, daß in diesem Chaos keine lebensbedrohlichen Seuchen ausbrachen.
    Verglichen mit diesen Zimmern wirkte unseres steril wie eine Leichenhalle. Auf dem Boden lag kein Stäubchen, das Fenster war blitzblank, die Matratzen wurden jede Woche gelüftet, die Bleistifte standen im Bleistiftständer, und sogar die Gardinen wurden einmal im Monat gewaschen, denn mein Mitbewohner war ein krankhafter Sauberkeitsfanatiker. Als ich den anderen von den Gardinen erzählte, wollte niemand mir glauben. Sie wußten nicht einmal, daß man Gardinen überhaupt waschen konnte, denn sie gehörten ja quasi zum Fenster. »Der ist doch nicht normal«, hieß es, und bald nannten sie ihn nur noch den Nazi oder Sturmbandführer.
    Anstelle von Pin-ups zierte unser Zimmer das Bild einer Amsterdamer Gracht. Meinen einzigen Versuch, ein Aktfoto aufzuhängen, hatte mein Zimmergenosse mit den Worten »Watanabe, du weißt doch, daß ich für so was nicht viel übrig habe« zunichte gemacht und anschließend das Bild von der Gracht angebracht. Da mir das. Aktposter nicht besonders am Herzen gelegen hatte, protestierte ich nicht, aber sooft Besuch kam, war die Reaktion auf das Grachtenbild ein einhelliges: »Was soll denn das sein!?«
    »Ach, das ist Sturmbandführers Wichsvorlage«, sagte ich dann beiläufig. Eigentlich sollte das ein Witz sein, aber alle nahmen es für bare Münze, so daß ich am Ende beinahe selbst daran glaubte.
    Man bemitleidete mich, weil ich das Zimmer mit Sturmbandführer teilen mußte, aber mir machte es eigentlich gar nicht so viel aus. Er ließ mich in Ruhe, solange ich meine Zimmerhälfte in Ordnung hielt. Also hatte ich wahrscheinlich sogar Glück, denn er übernahm das Putzen, lüftete das Bettzeug und brachte den Müll raus. Wenn ich drei Tage zu beschäftigt gewesen war, um ein Bad zu nehmen, schnupperte er vielsagend an mir, um mich daran zu erinnern. Er wies mich sogar darauf hin, wenn es Zeit war, zum Friseur zu gehen oder mir die Nasenhaare zu schneiden. Als störend empfand ich lediglich, daß er beim Anblick eines einzigen Insekts das Zimmer mit Wolken von
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