Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nana

Titel: Nana
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
war sie noch in dieser Kristallgrotte, in der Pracht ihrer natürlichen Reize. Sie hatte nicht ein Wort zu sprechen, denn das störte nur. Nein, nicht ein Wort. Sie brauchte sich nur zu zeigen, um das Publikum in Aufruhr zu bringen. Ein Körper, wie man ihn nicht wieder findet: Schultern, Beine, eine Taille ... Es ist doch drollig, daß sie gestorben ist. Sie hatte über ihr Trikot nichts weiter an als einen einfachen goldenen Gürtel, der ihr kaum den Bauch bedeckte. Die Grotte rings umher erstrahlte wie ein einziger Spiegel. Zwischen den Versteinerungen des Gewölbes flossen Wasserfälle von Diamanten, Schnüre von weißen Perlen herab; inmitten dieser Durchsichtigkeit, inmitten dieses Quellwassers, erhellt durch einen breiten elektrischen Strahl, schien sie in der Pracht ihrer Haut und ihrer flammenden Haare eine Sonne zu sein. Paris wird sie immer nur so sehen, entzündet inmitten der Kristallgrotte, sozusagen in der Luft, wie einen guten Gott. Nein, es ist doch zu dumm, zu sterben! Sie muß schön sein jetzt da oben ...
    Wieviel Vergnügen ist verloren, bemerkte Mignon trübselig. Er klopfte bei Lucy und Karoline auf den Busch, um zu wissen, ob sie hinaufgehen würden.
    Gewiß, sie gingen hinauf, ihre Neugierde war nur noch gesteigert.
    Jetzt kam auch Blanche; sie war atemlos und wütend gegen die Menge, die die Fußsteige besetzt hielt. Als sie die Nachricht erfuhr, erneuerte sich das Wehklagen. Die Damen schritten unter lautem Rauschen ihrer Röcke auf die Treppe zu. Mignon folgte ihnen, indem er rief:
    Sagt Rosa, daß ich sie erwarte, sofort.
    Man weiß nicht genau, ob die Ansteckung zu Beginn oder zum Schluß der Krankheit zu fürchten ist, erklärte Fontan dem Journalisten. Ein Spitalsarzt aus meiner Bekanntschaft versicherte mir, daß die Stunden, die unmittelbar auf den Eintritt des Todes folgen, die gefährlichsten seien ... Es entwickeln sich da Fäulnisstoffe ... Ach, ich bedaure, daß es so plötzlich ein Ende mit ihr genommen hat; ich wäre glücklich gewesen, hätte ich ihr ein letztes Mal die Hand drücken können.
    Was nützt es jetzt noch? sagte der Journalist.
    Ja, was nützt es jetzt noch, wiederholten die beiden anderen.
    Die Menge wuchs noch immer. In dem Lichte der Kaufläden sah man unter der flackernden Beleuchtung der Gaslaternen auf der Straße deutlich den doppelten Strom von Menschen, die die Hüte schwenkten. Zu dieser Stunde ergriff das Fieber immer weitere Kreise; die Blusenmänner hatten bereits ein bedeutendes Gefolge; eine drängende Masse fegte über die Straßen, und immer wieder entrang sich den Kehlen der gleiche Ruf:
    Nach Berlin, nach Berlin, nach Berlin ...
    Im vierten Stock kostete das Zimmer zwölf Franken täglich. Aber Rosa wollte ein anständiges Zimmer, wenn auch ohne Luxus; man bedürfe keines Luxus, um zu leiden. Die Wände des Zimmers waren mit großgeblümter Leinwand im Stile Louis XIII. bekleidet. Das Mobilar war von Mahagoni und glich jenem aller Hotels. Der Boden war mit einem roten Teppich belegt. Im Zimmer herrschte tiefe Stille, nur selten durch ein Geflüster unterbrochen.
    Da hörte man plötzlich Stimmen auf dem Flur.
    Ich sage dir, wir haben uns verirrt; der Kellner hatte gesagt, daß wir uns rechts zu wenden haben ... Eine wahre Kaserne dieses Hotel. Wart', wir wollen einmal schauen. Zimmer Nr. 401 ... Ah, da müssen wir uns hierher wenden: 405 ... 403 ... Jetzt sind wir bald da; endlich 401. Kommt! Still ...
    Alle schwiegen, man hustete, um sich ein wenig Sammlung zu geben. Dann wurde die Tür langsam geöffnet, und Lucy trat ein, hinter ihr Karoline und Blanche. Sie mußten bei der Tür stehenbleiben, denn es waren schon fünf Frauen im Zimmer. Gaga lag in einem rotsamtenen Sessel, dem einzigen, der sich im Zimmer befand. Vor dem Kamin standen Simonne und Clarisse und plauderten mit Lea de Horn, die auf einem Sessel saß, während links von der Tür vor dem Bette Rosa Mignon am Rande eines Koffers saß und starr den im Schatten der Vorhänge verlorenen Leichnam betrachtete. Alle Damen hatten Hüte und Handschuhe, als seien sie zu Besuch. Nur Rosa saß mit bloßen Händen, wirrem Haar, bleich von den Anstrengungen der drei durchwachten Nächte, wie betäubt und niedergedrückt in tiefster Trauer neben der Toten. In der Ecke der Kommode stand eine Lampe mit einem Schirm und warf ein helles Licht auf Gaga.
    Ach, welches Unglück, murmelte Lucy, indem sie Rosa die Hand drückte. Wir wollen ihr Lebewohl sagen.
    Sie wandte den Kopf, um nach der Toten zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher