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Nana

Titel: Nana
Autoren: Émile Zola
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seinem Sacktuch vor den Augen auf der Bank lag.
    Jetzt hielt ein Wagen; Lucy erkannte Marie Blond. Wieder eine, die gekommen war, um Nana zu sehen. Sie war nicht allein; ein dicker Mann stieg hinter ihr aus dem Wagen.
    Ei, das ist dieser Dieb, Steiner, sagte Karoline. Wie, hat man den noch nicht nach Köln zurückgeschickt? ... Ich will einmal sehen, welches Gesicht er macht, wenn er hier eintritt.
    Alle wandten sich um. Aber als Marie Blond, die sich zweimal in der Treppe geirrt hatte, nach zwanzig Minuten eintrat, war sie allein. Als Lucy, sehr erstaunt, sie mit dem Blicke befragte, antwortete sie:
    Ach, meine Liebe, glauben Sie denn wirklich, daß er heraufkommen wird? Es ist schön genug von ihm, daß er mich bis zur Tür begleitet hat. Es stehen ein Dutzend Herren unten, die ihre Zigarren rauchen.
    Tatsächlich hatten alle Herren sich unten zusammengefunden. Sie hatten einen Ausruf des Erstaunens und Mitleides über den Tod dieses armen Mädchens, dann sprachen sie von Politik und Krieg. Bordenave, Daguenet, Labordette, Prullière und noch andere waren zur Gruppe hinzugekommen. Sie hörten Fontan aufmerksam zu, der einen Kriegsplan auseinandersetzte, nach dem er Berlin in fünf Tagen erobern wollte.
    Inzwischen war Marie Blond bewegt zum Bette getreten, auf dem die Tote lag; sie murmelte gleich den anderen:
    Arme Katze ... das letztemal, als ich dich sah, war's im Possentheater in der Kristallgrotte ...
    Ach, seitdem ist sie sehr verändert, wiederholte Rosa Mignon mit ihrem traurigen Lächeln.
    Es kamen noch zwei Frauen: Tatan Néné und Louise Violaine.
    Diese beiden waren seit zwanzig Minuten im Hotel. Sie konnten das Zimmer nicht finden, wurden von einem Kellner zum anderen geschickt; sie waren zwanzig Treppen auf und ab gestiegen inmitten eines Gewühles von Reisenden, die sich beeilten, in der wachsenden Kriegspanik Paris zu verlassen. Als sie endlich das Zimmer fanden, sanken sie ermüdet auf den Sessel nieder, unfähig, sich sofort mit der Toten zu beschäftigen. Jetzt hörte man ein Geräusch im Nebenzimmer, Koffer wurden hin und her geschoben, man stieß an die Möbel, und dazwischen tönten Stimmen in fremder Sprache. Es war ein junges Ehepaar aus Österreich. Gaga erzählte, daß während der letzten Augenblicke Nanas die Nachbarn sich damit unterhielten, einander im Zimmer zu jagen, und da nur eine ganz dünne Tür die beiden Zimmer voneinander trennt, hörte man sie lachen und sich küssen, wenn sie einander erhaschten.
    Wir müssen fort, sagte Clarisse, wir können sie doch nicht wieder lebendig machen. Kommst du mit, Simonne?
    Alle blickten scheu nach dem Bett, ohne sich vom Fleck zu rühren. Sie schickten sich dennoch zum Gehen an und strichen ihre Röcke zurecht. Lucy war allein ans Fenster getreten; eine Traurigkeit schnürte ihr die Kehle zu, als ob von der heulenden Menge da unten eine trübe Stimmung aufgestiegen wäre.
    Noch immer wurden Fackeln vorübergetragen, von denen die Funken in die Luft stoben; in der Ferne sah man neue Scharen sich bewegen, die sich in dem Dunkel verloren, Viehherden gleich, die man zur Schlachtbank treibt. Von diesem sinnverwirrenden Getümmel, von diesen verwirrten Massen stieg ein Entsetzen, eine ungeheure Angst vor künftigen Metzeleien empor. Die Massen betäubten einander, ihr Geschrei brach sich in der Trunkenheit des Fiebers, das sich nach dem Unbekannten sehnte, das hinter der schwarzen Mauer des Horizontes zu finden war.
    Nach Berlin, nach Berlin, nach Berlin ...
    Lucy wandte sich bleich am Fenster um und stammelte:
    Mein Gott, was wird aus uns werden?
    Die Damen nickten zustimmend.
    Alle waren ernst geworden und besorgt über die kommenden Ereignisse.
    Was mich betrifft, sagte Karoline Héquet mit Würde, so werde ich übermorgen nach London abreisen ... Mama ist bereits dort, um ein Haus für mich einzurichten. Es fällt mir nicht ein, mich in Paris abschlachten zu lassen.
    Ihre Mutter hatte als kluge Frau, die sie war, ihr Vermögen im Auslande angelegt. Man kann nie wissen, wie ein Krieg endigt. Darüber geriet Marie Blond in Zorn; sie war eine Patriotin und sprach davon, der Armee zu folgen.
    Du bist eine feige Memme, rief sie. Ich hätte Lust, mich als Mann zu verkleiden, um diesen schweinischen Preußen mit dem Gewehrkolben zu bearbeiten ... Und wenn wir alle zugrunde gingen, was weiter? Ist's denn gar so sehr schade um unsere Haut?
    Blanche de Sivry war außer sich.
    Sag' nichts Böses von den Preußen, sagte sie; es sind Menschen wie die
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