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Nana

Titel: Nana
Autoren: Émile Zola
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blicken, aber die Lampe stand zu weit, sie wagte es nicht, sie näher zu rücken. Auf dem Bette lag eine graue Masse ausgestreckt; man konnte nur das rote Haar unterscheiden, dazu einen bleichen Fleck, der wohl das Gesicht sein mußte.
    Lucy fügte hinzu:
    Ich habe sie in der Posse zum letztenmal gesehen in der Kristallgrotte.
    Jetzt schien Rosa aus ihrer Betäubung aufzuwachen; sie lächelte bitter und wiederholte öfters:
    Ach, seitdem hat sie sich verändert, sehr verändert ...
    Dann sank sie wieder in ihre stille Betrachtung zurück ohne ein Wort, ohne eine Gebärde.
    Die drei Frauen kehrten zu den anderen an den Kamin zurück. Simonne und Clarisse sprachen halblaut über die Diamanten der Verstorbenen. Existierten diese Diamanten wirklich? Niemand hatte sie gesehen; das Ganze muß eine Prahlerei gewesen sein. Allein Lea de Horn wollte jemanden kennen, der die Diamanten gesehen hatte. Oh, ungeheure Steine. Übrigens sei dies noch nicht alles; sie habe außerdem noch andere Schätze aus Rußland mitgebracht; gestickte Stoffe, kostbare Kleinigkeiten, ein ganzes Tafelzeug aus Gold, sogar die Möbel dazu von Gold; ja, meine Liebe, zweiundfünfzig Kolli, ungeheure Kisten, drei Waggons voll. All das ist auf dem Bahnhof geblieben. Das ist Pech, wie? Zu sterben, ohne daß man auch nur Zeit hat, sein Eigentum auszupacken. Noch hinzuzufügen wäre, daß sie auch etwas Kleingeld besaß, beiläufig eine Million. Lucy fragte, wer der Erbe sei. Ferne Verwandte; ohne Zweifel ihre Tante, lautete die Antwort. Ein hübsches Geschenk für diese Alte. Sie wußte noch nichts; die Kranke hatte sich geweigert, sie kommen zu lassen, denn sie grollte ihr noch immer wegen des Todes ihres Kleinen.
    Nun waren die Damen gerührt über den Kleinen; sie erinnerten sich, ihn bei den Wettrennen gesehen zu haben; es war ein kränkliches Bübchen mit gealtertem und traurigem Gesichte, mit einem Worte: eines jener armen Geschöpfe, für die es ein Unglück ist, geboren zu werden.
    Er ist glücklicher unter der Erde, bemerkte Blanche.
    Bah, sie auch, fügte Karoline hinzu, das Leben ist nicht lustig.
    Nun verfielen sie alle in düstere Gedanken in diesem Sterbezimmer. Sie empfanden Furcht und meinten, es sei unklug, hier so lange zu plaudern; jedoch das Bedürfnis, noch weiter zu sehen, was es gebe, hielt sie fest.
    Es war heiß im Zimmer; das Lampenglas zeichnete eine Mondscheibe auf die Decke dieses Zimmers, das in ein düsteres Dunkel getaucht lag. Unter dem Bette stand ein Teller mit Phenol gefüllt, das einen unangenehmen Geruch verbreitete. Von Zeit zu Zeit wurden die Vorhänge durch einen Lufthauch gebauscht, der von den Boulevards kam, wo noch immer das dumpfe Geräusch herrschte.
    Hat sie viel gelitten? fragte Lucy, die vor der Uhr stand und eine Gruppe, die drei Grazien darstellend, betrachtete, auf deren Schultern die Uhr ruhte.
    Jetzt schien Gaga aus ihrem Schlafe zu erwachen.
    Ach ja ... Ich war zugegen, als sie den Geist aufgab. Ich kann dir sagen, es war nicht schön. Ein Schütteln kam über sie ...
    Sie konnte ihre Erklärungen nicht vollenden, denn von unten scholl ein ungeheurer Schrei.
    Nach Berlin, nach Berlin, nach Berlin ...
    Lucy, die im Zimmer fast erstickte, öffnete das Fenster weit und lehnte sich hinaus.
    Eine erfrischende Kühle stieg vom gestirnten Himmel nieder. Gegenüber waren die Fenster des Hauses beleuchtet; auf den goldenen Buchstaben der Firmenschilder tanzte das Gaslicht. Das Schauspiel auf dem Boulevard war recht unterhaltend. Man sah die Menschenmassen wie eine Flut sich über die Fußsteige und die Straßen hinwälzen inmitten eines Wirrsals von Wagen auf langen, in Schatten getauchten Flächen, nur hie und da beleuchtet durch die Gaslaternen. Doch die Menge, die jetzt schreiend ankam, war mit Fackeln ausgerüstet. Ein roter Schein stieg von der Magdalenenkirche nieder, durchschnitt die Menge mit einem langen Feuerstrich und verbreitete sich in der Ferne über die Köpfe wie ein weiter Brand. Lucy vergaß im Augenblick, an welchem Orte sie sich befand, und rief Blanche und Karoline herbei. Kommt her ... Von diesem Fenster sieht man sehr gut. Da neigten sich alle drei neugierig zum Fenster hinaus. Die Bäume unten waren ihnen im Wege, denn zuweilen verschwand der Fackelschein vollständig unter dem Blätterwerk. Sie versuchten, die Herren unten zu erblicken. Aber ein vorspringender Balkon verdeckte ihnen das Eingangstor, sie sahen nur den Grafen Muffat, der wie ein Bündel von unbestimmbarer Farbe mit
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