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Nana

Titel: Nana
Autoren: Émile Zola
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über die Boulevards fuhr, erzählte Lucy, ohne Atem zu schöpfen, die Geschichte Nanas.
    Du kannst es dir nicht vorstellen ... Nana kommt plötzlich aus Rußland an; ich weiß nicht weshalb; ihr Prinz wird sie wohl hinausgeworfen haben ... Sie läßt ihr Gepäck auf dem Bahnhof und steigt bei ihrer Tante ab; du erinnerst dich doch, bei jener Alten ... Gut, sie fällt über ihr Kind her, das die Blattern hat. Am folgenden Tage stirbt es, und sie zankt mit ihrer Tante wegen des Geldes, das sie hätte senden sollen und von dem die andere nicht einen Sou gesehen haben will. Wie es scheint, ist der Kleine aus Mangel an Pflege zugrunde gegangen. Nana geht fort, um ihr Hotel aufzusuchen und trifft Mignon gerade in dem Augenblicke, wo sie daran denkt, ihr Gepäck abholen zu lassen ... Nana wird blaß und rot, ein Frösteln schüttelt ihren Körper, sie hat Brechreiz; Mignon geleitet sie in ihr Absteigquartier zurück und verspricht, ihr das Gepäck besorgen zu lassen ... Nun kommt das Drolligste. Rosa erfährt, daß Nana krank ist; sie ist entrüstet darüber, sie in einer Mietwohnung allein zu wissen, und eilt weinend herbei, um sie zu pflegen. Du erinnerst dich wohl, wie sehr sie einander haßten. Zwei wahre Furien. Rosa hat Nana nach dem Grand Hotel bringen lassen, damit sie wenigstens an einem anständigen Orte stirbt, und hat schon drei Nächte bei ihr gewacht, wovon sie noch den Tod davontragen kann. Labordette hat mir dies alles erzählt, und ich will es jetzt mit ansehen ...
    Ja, ja, unterbrach sie Karoline sehr erregt, wir wollen uns das ansehen.
    Sie waren an Ort und Stelle. Auf dem Boulevard war ein solches Gedränge von Wagen und Fußgängern, daß der Kutscher einen Augenblick seine Pferde anhalten mußte. An diesem Tage hatte die Kammer den Krieg beschlossen; aus allen Straßen flutete die Menge auf die Boulevards und ergoß sich längs des Fußsteigs. In der Richtung der Magdalenenkirche war die Sonne hinter einem blutroten Gewölk untergegangen, dessen flammender Widerschein sich in den hohen Fenstern der Häuser spiegelte. Die Dämmerung senkte sich nieder, eine trübe, drückende Stunde in dem Dunkel der Alleen, die von den leuchtenden Gasflammen noch nicht erhellt waren. Inmitten dieses in Bewegung geratenen Volkes stiegen ferne Stimmen immer lauter auf; in den bleichen Gesichtern leuchteten die Blicke, während ein mächtiger Hauch der Beklemmung und des Entsetzens alle Geister ergriff.
    Da ist Mignon, sagte Lucy; er wird uns Nachricht geben.
    Mignon stand unter dem großen Tor des Grand Hotel und betrachtete mit erregter Miene die Menge. Bei den ersten Fragen Lucys geriet er in Zorn und schrie:
    Was weiß ich? Seit zwei Tagen bin ich nicht imstande, Rosa von da fortzubringen; es ist zu dumm, in dieser Weise seine Haut zu riskieren. Es wäre nett, wenn sie das Gesicht voll Löcher davontrüge; das fehlte uns noch.
    Der Gedanke, daß Rosa ihre Schönheit verlieren könne, brachte ihn in Verzweiflung. Er ließ Nana fallen, er begriff nichts von der dummen Anhänglichkeit der Frauen füreinander.
    Jetzt kam Fauchery über den Boulevard; auch er war unruhig, und sie befragten einander um Nachrichten. Die beiden Herren duzten einander.
    Immer die gleiche Geschichte, erklärte Mignon. Du solltest hinaufgehen und sie zwingen, mit dir zu gehen.
    Du bist zu gütig, mein Lieber, erwiderte der Journalist. Warum gehst du nicht selbst hinauf?
    Jetzt fragte Lucy die Herren nach der Nummer des Zimmers, in dem Nana lag; beide baten sie, sie möge doch Rosa mitbringen, weil ihnen schließlich die Geduld reiße.
    Karoline und Lucy gingen nicht sofort hinauf; sie hatten Fontan bemerkt, der die Hände in den Taschen über die Boulevards schlenderte und sich beim Anblick der aufgeregten Menge sehr zu unterhalten schien. Als er erfuhr, daß Nana oben krank liege, spielte er den Gefühlvollen.
    Das arme Mädchen, ich will ihr die Hand drücken. Was fehlt ihr denn?
    Sie hat die Blattern, erwiderte Mignon.
    Der Schauspieler hatte bereits einen Schritt nach dem Hotel gemacht; bei diesem Worte aber kehrte er um und sagte zusammenfahrend:
    Ei, zum Teufel.
    Die Blattern. Das sei kein Spaß. Fontan war im Alter von fünf Jahren der fürchterlichen Krankheit nur mit knapper Not entronnen. Mignon erzählte die Geschichte einer seiner Nichten, die daran gestorben war. Fauchery konnte auch davon reden; er trug noch immer die Spuren davon: drei große Löcher an der Nasenwurzel. Und als Mignon ihn wieder drängte, er möge hinaufgehen,
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