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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon
Autoren: Daniel Depp
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Erbe zu bewahren.«
    Anna blickte sich verzweifelt um. Sie bückte sich unter den Tisch. Dass der gesamte Saal ihr Treiben verwundert beobachtete, interessierte sie in diesem Moment nicht die Bohne.
    »Wollen wir Anna für ihren mitreißenden Appell mit einem Applaus verabschieden?«
    Da lag es, das Armageddon für die Handtasche, nur wenige Schritte entfernt. Anna wollte schon einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen, als sie sah, dass einer der Kellner, der gerade ein Tablett mit Hummer Thermidor hereintrug, das Röhrchen in wenigen Sekunden zertreten würde.
    Es gibt entscheidende Momente im Leben, und Anna wusste: Dies war ein alles entscheidender. Im Stil eines Footballspielers stürzte sie sich auf das Röhrchen und schaffte es tatsächlich noch, es unter den Füßen des Mannes wegzuschnappen. Der Mexikaner kollidierte mit ihr und kam seinerseits zu Fall, worauf die Krustentiere aus Maine und die Sahne aus Wisconsin in hohem Bogen gegen die Fensterscheiben klatschten. Noch während sie ihre Glieder wieder auseinandersortierten, wurde dem Kellner schlagartig klar, dass er sich als gefeuert betrachten konnte. Anna dagegen konnte sich darüber freuen, die bessere Hälfte der High Society von Beverly Hills nicht vorzeitig in die ewigen Jagdgründe befördert zu haben.
    »Hoppla«, sagte Mrs. Boyagian, als Anna sich wieder hochgerappelt hatte. »Immer dieses Personal …«
    »Ich bin mit dem Absatz in der Tischdecke hängen geblieben. Wie dumm.«
    »Eben«, sagte Mrs. Boyagian. »Diese Menschen können noch nicht einmal einen Tisch richtig eindecken. Haben Sie sich wehgetan?«
    »Nein, danke. Alles bestens.«
    »Dürfte ich Sie etwas fragen? Mir ist Ihr wunderbares Parfüm aufgefallen. Würden Sie mir verraten, wie es heißt?«
    »Thanatos«, antwortete Anna.
    »Thanatos?«, wiederholte Mrs. Boyagian. »Was für ein seltsamer Name. Aber es duftet fantastisch.«
    »Ja«, sagte Anna. »Es ist ein mörderisch guter Duft.«
    »Ach, wie witzig«, sagte Mrs. Boyagian.
    Da Anna ihnen nun einmal ihr gutes Geld abschwatzen wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als erst noch eine Runde Süßholz zu raspeln, obwohl sie nur noch eines wollte: raus aus dem Restaurant, rein ins Auto und ab nach Hause. Sie stand sich die Beine in den Bauch, beantwortete die seit Jahren immer wieder gleichen albernen Fragen und strahlte mit ihrem scheckheftgepflegten Gebiss um die Wette. Nachdem die Fragen verebbt waren, konnte sie sich endlich von Mrs. Boyagian, der alten Schabracke, verabschieden und das Weite suchen. Chandler, Annas Fahrer, wartete mit dem Navigator vor dem Restaurant auf sie. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf, warf sich den Hermès-Schal über die Schulter und hielt schon auf den Wagen zu, als sie auf dem Bürgersteig von ein paar dieser lästigen Matronen mit einer allerletzten Frage aufgehalten wurde. Ein Passant streifte sie, und sie wich einen Schritt zur Seite aus, um das Gespräch ungestört zu beenden. Ein letztes Strahlelächeln noch, dann konnte sie in den schwarzen Geländewagen springen und die Tür hinter sich zuziehen. Gerettet!
    »Wohin soll es gehen?«, fragte Chandler, ein muskulöser, gut aussehender Schwarzer, der ein ziemlicher Aufreißer war und ihr portugiesisches Hausmädchen geschwängert hatte. Anna musste wohl oder übel einen von beiden entlassen, aber sie hatte eine kleine Schwäche für Chandler und hätte der Portugiesin gern eine Abfindung in Höhe von sechs Monatslöhnen hinterhergeworfen, um ihn behalten zu können. Sie war neidisch auf die Kleine, und wenn sie zu viel getrunken hatte, hätte sie ihn manchmal selbst gern in ihr Bett geschleppt. Es wäre nicht die erste Dummheit, die sie sich in ihrem Leben geleistet hätte. Allerdings würde sie sich danach wirklich einen neuen Fahrer suchen müssen.
    »Nach Hause«, antwortete sie. »Ist Pam auch da?«
    »Soll ich mal kurz durchrufen?«
    »Nein, was soll’s? Bringen Sie mich einfach nach Hause.«
    Anna lehnte sich zurück, machte die Yoga-Atemübungen, die sie von Shakti, ihrem schwulen Ayurvedalehrer aus Brooklyn, gelernt hatte, und nahm Sonnenbrille und Halstuch ab. Als sie die Seide durch ihre Finger gleiten ließ, verfing sie sich darin und sah sich den Stoff genauer an. Er war halb durchgetrennt. Mist, sie mochte dieses Tuch. Ob sie damit wohl irgendwo hängen geblieben war? Aber daran müsste sie sich doch erinnern, denn sie hatte es ja die ganze Zeit bei sich gehabt. Plötzlich fiel ihr der leichte Rempler auf dem Bürgersteig wieder
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