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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon
Autoren: Daniel Depp
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Hand in der Tasche. Die Spannung stieg.
    »Genau siebentausend«, sagte sie und sah ihn an, als ob sie darauf wartete, dass er ihr anerkennend auf die Schulter klopfte.
    »Sind Sie immer so gut organisiert?«, fragte Kenny.
    Er gab ihr die Schachtel. Vorsichtig nahm sie den Deckel ab. Darin lag ein kleines Röhrchen in einem Nest aus Kosmetiktüchern. Kenny konnte sie gerade noch daran hindern, es herauszunehmen.
    »Nicht so hastig! Wenn Sie damit spielen wollen, nehmen Sie es mit nach Hause, aber nicht, solange ich noch in der Nähe bin. Lady, das ist eine Synthese aus den fünf giftigsten Killertoxinen auf dem Planeten. Das ist keine Coca-Cola.«
    »Hatten Sie nicht gesagt, dass es nur wirkt, wenn man es einnimmt?«
    »Wenn man es in den Körper auf nimmt! Wenn Ihnen das Röhrchen aus der Hand fällt und kaputtgeht, brauchen Sie bloß einen einzigen Tropfen davon ins Auge oder auf die Lippe zu bekommen, und Sie sind so gut wie tot. Bei Kontakt mit der Haut müssen Sie es sofort abwaschen. Aber wenn Sie eine offene Wunde haben, sind Sie hin. Wenn das Zeug auf irgendeinem Weg in Ihren Körper gelangt, war’s das. Dann allseits gute Nacht. Dann bleiben Ihnen noch maximal fünfzehn Sekunden. Mit dieser Menge hier können Sie dreißig Leute ins Jenseits befördern, wenn Sie es ihnen tröpfchenweise mit der Pipette einflößen. Wenn Sie es ihnen in die Limonade kippen und es Ihnen nichts ausmacht, ein bisschen zu warten, reicht es für hundert.«
    »Und es tut wirklich nicht weh?«, fragte sie zum gefühlt millionsten Mal, seit sie ins Geschäft gekommen waren.
    »Man verliert die Besinnung«, antwortete Kenny. »Als ob einem einer das Licht ausgeknipst hat. Dann macht das Nervensystem schlapp, aber davon kriegt man nichts mehr mit.«
    »Woher wollen Sie das so genau wissen?«
    »Weil Vater Staat das Mittel an Zwei-Zentner-Affen hat testen lassen. Ich hab die Laborberichte gelesen, sie liegen bei uns im Institut unter Verschluss. Die sind streng tabu für Hiwis wie mich. Und wenn es rauskäme, dass ich von dem Zeug was abgezweigt habe, würde man mich unter einer Gefängniszelle verscharren. Ich will auch nicht wissen, wozu Sie es brauchen. Das interessiert mich nicht. Ich will bloß in Ruhe meinen Abschluss machen und mir irgendwo einen netten, sicheren Job in der Forschung angeln, ohne in der Zwischenzeit zu verhungern.«
    Sie lächelte. »Sie wollen es wirklich nicht wissen?«
    »Für Ratten«, antwortete Kenny. »Für Maulwürfe im Garten. Für den kläffenden Nachbarsköter. Dafür brauchen Sie es. Und noch was: Wir haben uns heute zum ersten und zum letzten Mal gesehen.«
    »Ich schätze, das lässt sich einrichten«, sagte sie verträumt. »Keine Bange.«
    Kenny stieg in den Porsche und fuhr davon. Mit der Schachtel in der Hand blickte sie auf Los Angeles hinunter, als ob sie es am liebsten woandershin verpflanzen würde. Sie nahm das Röhrchen heraus, ließ die Schachtel achtlos auf den Boden fallen und deponierte das Nervengift im Wert von siebentausend Dollar mit spitzen Fingern in ihrer Gucci-Tasche.

3
    In einem Restaurant in Beverly Hills dachte Anna Mayhew, Oscar-Preisträgerin und ehemaliger Darling der Paparazzi, über das Verfallsdatum von Titten und Ärschen nach und überlegte, wie viele Tage sie sich noch gönnen sollte, bevor sie sich umbrachte. Sie hielt das Giftröhrchen wie einen Talisman in der Hand. Es war ein gutes Gefühl.
    Was Anna hier betrieb, während sie den Blick durch den Raum schweifen ließ, umgeben von gut fünfzig schwerreichen Beverly-Hills-Matronen, war im Grunde nichts anderes als eine klinische Studie. Die Damen saßen mümmelnd vor ihren Salattellern und ratschten, umschwebt von mexikanischen Kellnern, die – vergeblich – versuchten, sie zu bedienen, ohne größeren Schaden zu nehmen. Die Kritik prasselte auf sie ein wie ein Steinhagel auf römische Christen. Weil sie sich mit jedem Augenkontakt eine Beschwerde beim Restaurantleiter wegen impertinenten Verhaltens einhandeln konnten, huschten sie mit gesenktem Kopf von Tisch zu Tisch. Als illegale Einwanderer – und das waren sie bis auf den letzten Mann – blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Schikanen widerspruchslos zu dulden. Wäre es ihnen allerdings möglich gewesen, die gesamte Lokalität mit Hilfe eines Zaubertricks nach Tijuana zu versetzen, hätten sie ein genüssliches Blutbad veranstaltet.
    Anna war mit sich, was den Selbstmord anging, mehr oder weniger im Reinen. Sie konnte sich nur nicht für den
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