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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon
Autoren: Daniel Depp
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richtigen Augenblick entscheiden. Deshalb spielte sie so gern mit dem Röhrchen, wenn es ihr wieder einmal besonders mies ging. Zu wissen, dass der Tod nur Sekunden entfernt war, beruhigte sie.
    »Ich bin übrigens mit Attila verheiratet«, sagte ihre Tischnachbarin zu ihr.
    »Wie bitte?«
    »Attila. Attila Boyagian. Er hat mal einen Ihrer Filme produziert. Wie er hieß, weiß ich nicht mehr. Sie vielleicht?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Macht nichts«, sagte Mrs. Boyagian. »Ist ja auch schon eine Ewigkeit her. Ich könnte natürlich Attila fragen, aber bei dem rieselt auch schon mächtig der Kalk.«
    Sie sah auf ihre Uhr, stand auf und trat ans Rednerpult. »Ladys ohne Gentlemen! Ladys ohne Gentlemen!«
    Die Damen beendeten das rituelle Kellnerquälen und wandten sich Mrs. Boyagian zu.
    »Ich danke Ihnen, dass Sie so zahlreich erschienen sind«, sagte Mrs. Boyagian. »Und das an einem Tag wie heute – haben wir nicht einen wundervollen Frühling? –, an einem herrlichen Tag, den wir doch alle lieber an der frischen Luft verbracht hätten, im Garten oder beim Tennisspielen. Trotzdem freuen Sie sich gewiss mit mir auf unseren heutigen Gast. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt. Es ist uns eine Ehre, eine Legende bei uns begrüßen zu dürfen, eine der besten und einflussreichsten Schauspielerinnen der letzten Jahrzehnte.«
    Die »letzten Jahrzehnte« hatten gesessen. Anna nahm sich vor, sich später dafür zu revanchieren. Der Ziege würde sie es zeigen. Prüfend musterte sie Mrs. Boyagians Hintern, der in einem Tausend-Dollar-Hosenanzug steckte und für eine Mittfünfzigerin ein bisschen zu knackig war. Garantiert geliftet. Und vielleicht auch noch ein Implantat? Genau da lag der Hund begraben: Es gab hier keinen einzigen Arsch, der nicht runderneuert war. Genauso wenig wie naturbelassene Titten. Wenn hier ein Feuer ausbrach, würden sich die Möpse und Popos genauso schnell in Wohlgefallen auflösen wie Vincent Price, nachdem er in der Schlussszene von Das Kabinett des Professor Bondi in den Bottich mit dem siedenden Wachs gefallen war .
    Der Tag hatte schon schlecht angefangen. Anna steckte in einer ihrer depressiven Phasen, aus denen sie sich in letzter Zeit immer schwerer befreien konnte. Diesmal hatte es sie richtig übel erwischt. Als sie am Morgen nach dem Duschen in den Spiegel gesehen hatte, war sie mit dem Ergebnis noch halbwegs zufrieden gewesen. Man sah ihr die Dreiundvierzig nicht an. Sie fand, sie könne noch glatt für fünfunddreißig durchgehen. Wovon sie auch beruhigt ausgehen durfte, da sie damit nun schon seit acht Jahren locker durchkam. Beflügelt durch diesen schönen Erfolg, hatte sie tollkühn den Bleistifttest gemacht. Erst unter der linken Brust. Der Stift bewegte sich keinen Millimeter, wie mit Sekundenkleber angepappt. Anna hüpfte ein paar Mal auf und ab, aber der Scheißstift hing fest wie ein Bergsteiger in der Steilwand. Mit der rechten Brust dasselbe Spiel. Und dann beging sie den alles entscheidenden Fehler, sich den Stift auch noch unter die Pobacke zu klemmen. Es tat sich – nichts. Wenn sie den Test mit einer Salami gemacht hätte, hätte sie ohne Verlustängste damit joggen gehen können. Bis jetzt hatte sie noch nichts an sich machen lassen, aber lange würde es nicht mehr dauern, bis sie sich unters Messer legen musste. Vielleicht wäre es das Beste, dieses ganze Affentheater nicht mehr mitzumachen und in Würde zu altern. Geld genug hatte sie. Eigentlich konnte sie die Schauspielerei an den Nagel hängen, um sich ihren Benefizgalas zu widmen, im Garten zu arbeiten und vielleicht ihre Memoiren zu schreiben. Sie sah sich schon vor sich: graue Haare und Stufenheck. Nein, ausgeschlossen! Dann schon lieber ein Ende mit Schrecken. Ich habe ein paar gute Filme gedreht, die vielleicht in Erinnerung bleiben werden. Wenn ich jetzt abtrete, werde ich nie altern.
    »Eine Frau, deren Schaffen wir schon lange bewundern«, fuhr die Dame mit dem Plastikarsch fort. »Die für ihre Rolle in The Lady from Barcelona mit dem Oscar für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet wurde – ich bekomme heute noch feuchte Augen, wenn ich an die Szene mit der Mutter denke. Sie nicht auch? Eine Frau, der eine ganze Generation von Nachwuchsschauspielerinnen nachgeeifert hat. Die West Hollywood Arts Society präsentiert Ihnen heute … Anna Mayhew!«
    Applaus. Während Anna zum Rednerpult ging, spürte sie, wie sich gut fünfzig Augenpaare auf ihren Quadratarsch hefteten.
    »Herzlichen Dank
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