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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
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den Schnipseln, schüttelten uns vor Lachen und ließen das
     Bild Bild sein.
     
    Was ist viel Zeit, was wenig, wenn sie stehen bleibt? Zwei langsame Männer, die Wienerle essen und sich an eine schöne Frau
     erinnern –
     
    Opa starb noch in dem Jahr, in dem Eva weggegangen war. Ich hätte es Eva gern erzählt. Aber ich hatte keine Adresse. Es wäre
     schön gewesen, sie wäre da gewesen, aber sie hat Friedhöfe gehasst, und es wäre ihr sicher schwergefallen. Ich glaube aber,
     sie wäre gekommen. Sie hat Opa gemocht, so unmöglich es schien, sie hat ihm auch immer Grüße ausgerichtet. Sie hatte mich
     sogar gebeten, ihm zu erklären, weshalb sie nicht mehr kommen konnte; ich habe Opa nur ein Wort gesagt, einen Namen. Er hat
     bedauernd die Achseln gezuckt.
    Er wird sie nicht schaffen, hat er gesagt.
    Tja. Opa kannte die Leute manchmal besser als sie sich.
    Ich frage mich allerdings, wozu es alles gut war.
    Ich habe lange gezögert, Opas Haus zu verkaufen. Ich konnte und wollte nicht mehr darin wohnen; allein in diesem |308| großen Haus. Ein paar Jahre lang habe ich es vermietet; es gab immerzu Fragen, Reparaturen, immer wieder musste ich mich damit
     befassen. Irgendwann verkaufte ich es und legte das Geld für später an.
     
    Manchmal befällt mich in den letzten Tagen so ein Vergnügen, Zeit sinnlos zu vergeuden. Die Leute in der Markthalle zu beobachten.
     Die kleine türkische Schneiderin, die ihr Maßband um den Hals hängen hat. Die Metzgerin mit den Zöpfen. Den dünnen Mann, der
     nackte Hühner in rosa Papier schlägt. Das Leben riechen. Leichtsinn und Übermut.
    Ich hatte das vergessen. Ich hielt mich für einen Verlierer.
    Heute zum Beispiel fiel mir beim Kochen etwas ganz Überraschendes ein. Ich wollte nur ein paar einfache Nudeln mit Ricotta
     und Pinienkernen machen. Ich koche gern, auch für mich allein. Als ich die Spaghetti ins Wasser warf, fiel mir plötzlich ein,
     wie meine Mutter manchmal die Nudeln in die Hand nahm und sie wie Mikadostäbchen in immer neue Muster fallen ließ. Ich liebte
     dieses Spiel. Jetzt ist genug, oder so ähnlich, sagte sie lachend und ließ die Nudeln ins sprudelnd kochende Wasser fallen.
     So verging die Zeit, bis das Essen fertig war, wie im Flug. Ich stand auf einer kleinen Trittleiter, die ich gern mit mir
     herumschleppte, und sah in den dampfenden Topf. Mütter gewinnen für uns Zeit, die wir im Leben dann vergeuden. Wie dumm.
    Ich legte einen Notizzettel in meinen Melancholie-Ordner: Mütter, Nudeln, Zeit. Meine Mutter spielte übrigens leidenschaftlich
     gern Mikado.
     
    Heumann hat mir angeboten, Evas Hefte zu lesen. Sie riechen stark nach Staub, ich weiß nicht. Ich werde in den Süden fahren
     und mich auf Felsen in die Sonne legen.
    Und wenn ich wiederkomme, werde ich ausgedehnte Spaziergänge in Pankow, Weißensee und Friedrichshagen machen. Das habe ich
     nie getan. Nichts ist mehr, wie es war; vielleicht |309| entdecke ich noch ein paar Überreste der Hälfte der Stadt, in der ich mit Eva einige Male unterwegs gewesen bin. Oder etwas
     Neues.
     
    Jackson ist heute tatsächlich ein international anerkannter Maler. Ich habe im Internet nachgesehen. Heumann hat mich mit
     zu Theo Hölt geschleppt, der sich nicht an mich erinnert. Ist mir recht. Jedenfalls haben wir nicht darüber gesprochen. Er
     hat noch schlechtere Zähne als früher. Ich habe ein Bild von ihm gekauft, ein abstraktes, mit komplexen Strukturen, die Heumann
     mir erklären wird. Nach und nach. Hölt ist zur Zeit nicht
en vogue
, ich kann ihn mir leisten. Aber nach den Figurativen kommen die Abstrakten wieder, und dann wird es vielleicht wieder anders.
     Heumann sagt, die Leute würden sich neuerdings für Lebenswerke interessieren und nicht mehr nur für die Jungen, die natürlicherweise
     nachdrängen. Er sucht Kontakt zu den Jungen,
sonst wird man unbeweglich
, die Alten sind ohnehin seine Freunde. Ich glaube, ich habe Lust, etwas von ihm zu lernen.
    Ich mag Theo Hölts Bild sehr. Es ist das einzige zeitgenössische Bild, das ich habe. Es ist überhaupt das einzige Bild.
    Es fällt auch nach langer Zeit nicht von der Wand, hat Heumann gesagt.
    Wir verlieren so viel.
    Ich habe immer geglaubt, ich wäre der Verlierer gewesen, in jenem Spiel, in jener Zeit. In jener Zeit –
    Ich habe mich verändert. Das ist mein Gewinn. Das weiß ich jetzt.
    Nein, Robert hat sie nicht geschafft. Und ich weiß jetzt auch, was sie mir hinterlassen hat.
    Ich begriff es eigentlich schon damals, als
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