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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
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die Erinnerung an meinen eigenen Abschied von Eva auf, den endgültigen, bevor
     sie nach London ging.
     
    |295| Sie hatte mich nach schier endloser Zeit angerufen. Sie wollte sich verabschieden, hatte sie gesagt. Ich bin sofort zu ihr.
     Sie hätte mich von sonst wo rufen können, ich wäre immer hin. Sofort. Ohne zu zögern. Ich kam in ihre Wohnung, es stand ein
     einziger Koffer darin, sonst nichts. Die Dielen glänzten weiß im hereinfallenden Sonnenlicht; der Frühling fing gerade an.
     Sie trug eine blaue Arbeitshose und einen grob gestrickten, grauen Pullover. Ihre Augen leuchteten dunkelgrün, ihr Haar fiel
     ihr ums helle Gesicht auf die Schultern. Es stand ihr gut, dieses längere Haar. Sie hatte etwas sehr Ernstes.
    Es war wieder einmal März in unserem Leben, es waren zwei Jahre vergangen, seit unserem ersten, Eva war inzwischen fünfundzwanzig,
     ich sechsundzwanzig, ich machte mein 2.   Staatsexamen. Es war das Jahr 1988.
    Sie ging nach London. Sie machte ein Praktikum bei »
Sotheby ś«
.
    Du darfst es Robert nicht sagen, sagte sie.
    Ich sah sie überrascht an.
    Ich hinterlasse keine Adresse, ich weiß nicht, wo ich wohnen werde, und ich weiß nicht, ob ich sie dir mitteilen werde. Ich
     brauche drei Ozeane zwischen diesem hier – sie machte eine Bewegung mit dem Kopf – und mir, du darfst es mir nicht verübeln,
     ich schaffe es sonst nicht.
    Ich nickte verwirrt. Ich hatte ja nicht einmal damit gerechnet, dass sie sich verabschieden würde.
    Robert darf nicht wissen, dass ich dich gesehen habe, er darf nicht einmal ahnen, in welche Richtung ich mich bewege.
    Du kannst dich auf mich verlassen, sagte ich. Was ist –
    Sie legte mir die Hand auf den Mund.
    Ich danke dir.
    Dann nahm sie meine Hand und hielt sie. Wir hielten uns eine Weile an den Händen, dann ging ich grübelnd fort. Wieso war es
     aus mit ihr und Robert? Hatte sie wieder jemanden kennengelernt?
     
    |296| Ich tauchte aus meinen Gedanken auf.
    Gibt es das? fragte ich Heumann, der geduldig wartete. Kann man so an einem Menschen hängen, dass man in irgendeiner verdammten
     Ecke denkt –
    Klar, sagte er. Ich hatte jahrelang meine erste große Liebe abgespeichert. Wie einen ultimativen Traum. Alle meine Freundinnen
     waren eifersüchtig auf dieses Phantom, ich Trottel hab auch noch von ihr erzählt. Du kennst ja diesen Drang, wenn man verliebt
     ist.
    Ich nickte. Ich hatte den Frauen nie von Eva erzählt.
    Eines Tages, fuhr Heumann fort, laufe ich ihr auf der Straße in die Arme. Wir reden, ich sehe sie an, ich habe das Gefühl,
     ich sehe nicht richtig. Nichts. Alles weg. Kein Phantom mehr.
Just another woman.
    Er lachte.
    Er stand auf und verschwand Richtung Toiletten. Ich konnte nicht widerstehen. Ich nahm eins der Hefte, schlug es irgendwo
     auf und fing an zu lesen.
     
    Paul wird nie mit mir leben. Nicht jetzt, und auch nicht später, und er kann es mir so wenig erklären wie ich ihm. Nur Inzest
     ist wirklich geil, sagt Heumann, und manchmal habe ich das Gefühl, mich auf verbotenem Terrain zu bewegen, und verstehe es
     selbst nicht einmal. Ich muss Heumann fragen, was das heißt. Paul war charmant und zauberhaft wie immer, wir mussten ins Pergamonmuseum
     gehen und ins Konzert und die halbe Nacht reden. Seine Berührungen waren so vertraut wie immer. Ich genoss seine Nähe. Auch
     solche Nächte binden, diese Zärtlichkeit und Ehrlichkeit, auch wenn sie brutal scheint, weil es kein Zusammenleben geben wird,
     ein Miteinander, das sich nicht versteht und doch. Im Innern dachte ich, wie sehr ich doch an das Paarsein glaube, vielleicht
     sollte ich diesen Gedanken überprüfen, es ist doch nur eine bürgerliche Erfindung, und so lebe ich von morgens bis mittags
     mit dem einen und von mittags bis abends mit dem anderen und
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so fort. Mit Paul habe ich geweint wegen all dieser Kompliziertheiten und weil ich weiß, dass es kein Spiel ist. Beim letzten
     Mal in Paris, vor über einem Jahr, war er so verhalten, als wollte er sich nicht zu sehr binden, und dieses Mal war ich es,
     und so ist es und so bleibt es voraussichtlich für alle Zeit, Amen.
     
    Der Franzose durfte rein, und wir mussten draußen bleiben, dachte ich. Heumann war noch nicht in Sicht. Hastig blätterte ich
     die Seiten durch, suchte meinen eigenen Namen, las weiter.
     
    Gestern Abend kam Robert vorbei, unter irgendeinem Vorwand, und dann saß er bei mir in der Küche und machte mir Vorhaltungen
     wegen Konrad. Weil ich ihn nicht einfach habe fallen lassen,
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