Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacktbadestrand

Nacktbadestrand

Titel: Nacktbadestrand
Autoren: Elfriede Vavrik
Vom Netzwerk:
herumfuhr, hoffte ich immer, dass es bald vorbei sein würde und ich mich mit meiner Salbe ins Badezimmer verkriechen konnte, wenn er eingeschlafen war.
    Einmal hat er mich auch im Badezimmer überfallen. Und was blieb mir anderes übrig, als ihn machen zu lassen? Dabei war das Badezimmer immer mein Versteck gewesen. Mein Badezimmer und mein Buchgeschäft. Nach diesem Vorfall habe ich die Badezimmertür immer abgeschlossen. Aber er war wie ein Kind. Er klopfte und drängelte. Wenn er nüchtern war, hatte ich ihn noch einigermaßen unter Kontrolle. Er starb kurz nach unserer Scheidung.
    Aber jetzt saß ich auf dem Bettrand, in Erinnerungen versunken. Erinnerungen sind oftmals anders als das Erlebte, manchmal sogar das Gegenteil. Zwar hatte ich den Schaufelgriff weggeworfen, als Bilder meines zweiten Mannes aufgetaucht waren. Aber dann sah ich das Badezimmer in Mödling wieder. Wie ich dort im Nachthemd mein Gesicht wusch, wie er die Tür öffnete und schrie und fluchte. Wie er am folgenden Morgen weinte, als er nüchtern war, weil ich ihm den Kaffee nicht gekocht hatte. Und ich sah, wie ich übers Waschbecken gebeugt die Beine spreizte, um möglichst viel Platz zu machen. Ich sah, wie mein Mund sich öffnete, als er näher an mich herangetreten war, weil meine trockenen Schamlippen brannten wie die Hölle.
    Ich stand vom Bettrand in meinem Laxenburger Schlafzimmer auf, hob den verhassten Schaufelgriff auf, ging ins Badezimmer, beugte mich über das Waschbecken und spielte die Szene so nach, wie sie hätte sein können. Schließlich lag ich mit dem Bauch auf dem Wannenrand, ein Bein in der Wanne, das andereauf den Kacheln unter dem Waschbecken. Am nächsten Morgen hatte ich blaue Flecken. Die Haut einer alten Frau ist empfindlicher als die eines Mädchens. Ich stand nackt vor dem Spiegel im Wohnzimmer und sah mich an. Eigentlich war ich gar nicht so hässlich. Meine Brüste waren jetzt viel größer als damals. Trotzdem hingen sie nicht. Die Haut auf meinen Armen hing, aber die auf meinem Bauch war noch erstaunlich straff. Ich leckte mir über einen blauen Fleck auf dem Oberarm. Jetzt war ich schön.
    Ich wollte nicht in die Vergangenheit zurückkehren. Ich wollte jetzt, jetzt nachholen, was mir in den vergangenen vierzig Jahren entgangen war, in den vierzig Jahren nach meiner Scheidung und dem Tod meines zweiten Mannes, in denen ich gar nichts wollte, in denen ich genug von allem zu haben glaubte, in denen ich für meine Buchhandlung und meine Söhne lebte, in diesen vierzig Jahren ohne Sex.

6
    Am Wochenende fühlte ich mich relativ frisch. Ich machte mich schön, ging spazieren. Ein Kaffee im Espresso am Laxenburger Hauptplatz. Eine kleine Unterhaltung mit einer Dame vom Nachbartisch. Über das Wetter. Dann fand ich mich auf dem Platz vor dem Schloss wieder. Ich stand vor der Pfarrkirche. Ihre Vorderseite wölbte sich wie eine Woge im Meer. Der Turm war eine startende Rakete. Ich sah beinahe den Feuerschweif. Ich musste die Kirche betreten. Das Weihwasser benutzte ich nicht, aber ich nickte ehrfürchtig zum Altar hin. Ich begrüßte Gott. Vielleicht, dachte ich, wohnt er doch eher hier im Altarbild als bei mir zu Hause.
    Ich stand unter der Flachkuppel. In ihrer Mitte der Heilige Geist. Rundherum, auf den Rändern, verschiedene Heilige. Oder wir Menschen? Ich versuchte in die Gesichter der oben abgebildeten Leute zu sehen, die Kirche begann sich zu drehen, mir wurde schwindlig. Neben mir sah ich auf einem Bild die Flucht des Volkes Israel aus Ägypten. Unendliche Züge von Menschen, die besorgt durch die Wüste ziehen und durch das Meer. Nur Moses hat einen sicheren Blick. Und dennoch tanzen sie. Die Sorge weicht nicht aus ihren Gesichtern, aber die Körper tanzen, Musik erklingt, Pfeifen vielleicht, auf jeden Fall Trommeln, kleine Tamburine und Glöckchen. Sie ziehen fort, und irgendwo in grünen Tälern werden sie Schafe und Kamele züchten.
    Ich setzte mich auf eine Bank, sah das Kruzifix, atmete die kühle Luft. Draußen war es warm, man schwitzte draußen. Hier war es ruhig und kühl.
    Die Züge der Menschen auf dem Bild wanderten weiter.
    Ich war schon lang nicht mehr in einer Kirche gewesen. Dabei war ich katholisch erzogen worden. Ich dachte… Was dachte ich eigentlich? Irgendeine Ordnung, dachte ich, gibt es. Und jetzt sah ich die Ordnung mit den Augen: Es war kein Zufall, dass das Volk Moses
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher