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Nacktbadestrand

Nacktbadestrand

Titel: Nacktbadestrand
Autoren: Elfriede Vavrik
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seit Langem davon ab, den Wagen zu benutzen, aber heute fühlte ich mich frisch, jedenfalls frischer als sonst. Und ich wollte beim Fahren etwas wie ein Freiheitsgefühl verspüren.
    Wiener Neudorf liegt zwar nicht sehr weit von Laxenburg entfernt, aber ein Ausflug mit dem Automobil war heute etwas so Exklusives für mich wie damals in meiner Jugend. Beim Öffnen der Wagentür lachte ich. Erst als der Zündschlüssel steckte, wurde ich nervös. Sollte ich dem Arzt wirklich alles erzählen? Würde er mich auslachen? Ich kurbelte das Fenster herunter, atmete durch. Es war doch noch etwas kühl, also schloss ich das Fenster wieder.
    Das Auto hatte den ganzen Winter über schneebedeckt vor dem Haus gestanden, doch zum Glück ließ es sich ohne Probleme starten. Ich hörte dem Motor zu. Dann legte ich den ersten Gang ein, ließ meinen Fuß von der Bremse gleiten, ging mit dem anderen langsam von der Kupplung, stieg vorsichtig aufs Gas. Der Motor starb ab. Irgendetwas hatte ich falsch gemacht. Ich startete noch einmal. Jetzt ging alles glatt. Autofahren verlernt man doch nicht während eines Winters.
    Auf der Wiener Straße schien die tiefe Sonne durch die Pappelallee. Die Bäume warfen unendlich lange Schatten. Glänzender Morgennebel lag über dem Boden. Ich stieg aufs Gas, beschleunigte auf sechzig Stundenkilometer. Es ist doch schön, so außerhalb der Vorhänge zu sein, dachte ich. Der Tag gefiel mir.



4
    Im Wartezimmer saßen einige Rentnerinnen, die mich aufmerksam musterten, als ich eintrat. Eine beugte sich vor, stützte sich auf ihren Stock und grüßte wie ein Polizist. Ich lächelte und setzte mich in die Ecke unter die Pendeluhr. Erst nach einigen Minuten setzten die Damen ihr Gespräch über Hüftoperationen, Nierenprobleme und verstorbene Nachbarinnen fort. Jünger wird man nicht, man altert. Man altert, bis man stirbt. Es ist so einfach. Und doch geht man zum Arzt und hofft, um einige Jahre zurück in die Vergangenheit versetzt zu werden, um ein kleines bisschen jünger zu werden, damit die einem vorbestimmte Lebensdauer nicht so bald zu Ende geht. Und was wollte ich? Ich wollte Schlaf. Den ruhigen Schlaf eines Kindes, dem die Mutter leise ein Schlaflied gesungen hat. Eines Kindes, das von einer Mutter vorsichtig gewiegt wird, die sich über den ruhigen Atem ihres Kindes freut. Und ich wollte den Schlaf eines Menschen, der gerade gestorben ist, dem man die Arme gefaltet und die Augen geschlossen hat, der still ist, der nicht mehr stöhnt, der keinen Schmerz mehr fühlt und keine Sorgen.
    Die Pendeluhr hinter mir schlug dreimal. Es war viertel vor neun. Eigenartig, dass gerade im Wartezimmer eines Arztes, von dem man den Kampf gegen die Zeit erwartet, die Zeit so gegenwärtig ist, in Form einer so gewaltigen Uhr.
    Â»Frau Vavrik, bitte!«
    Etwas unsicher betrat ich die Praxis.
    Â»Bitte, Frau Vavrik, nehmen Sie Platz. Was haben wir denn für ein Problem? Appetitlosigkeit, Unruhe, Schmerzen?«, fragteDr. Mittermeyer, wischte seine dicke Brille am weißen Kittel ab und reichte mir gleichzeitig freundlich die Hand.
    Ich sah mich vorsichtig in der Praxis um. Dicke grüne Vorhänge hingen an den Fenstern und verströmten die Atmosphäre eines Wohnzimmers aus dem neunzehnten Jahrhundert. Der hölzerne Schreibtisch schien perfekt zu der Pendeluhr aus dem Wartezimmer zu passen. Er war so groß, dass der Doktor dahinter beinahe klein wirkte. Er sah mich aus seinen dunklen Augen erwartungsvoll an.
    Ich erinnerte mich an seine Frage und antwortete schnell: »Schlaflosigkeit, Herr Doktor.«
    Er murmelte etwas, das ich nicht verstand, weil er sehr schnell sprach und ich es nicht mehr gewohnt war, mit jemandem zu reden.
    Â»Ich bin schon seit Längerem schlaflos, seit ich in Rente bin, seit ich mein Geschäft schließen musste«, erzählte ich weiter.
    Â»Aha, und was war das für ein Geschäft?«, fragte er höflich.
    Â»Ich hatte eine Buch- und Papierhandlung in Mödling, eine große«, sagte ich stolz. Ich wusste, dass er nur nachfragte, um mich zu beruhigen und um mein Vertrauen zu gewinnen.
    Â»Aha, aha, und was tun Sie dagegen?«, fragte er.
    Â»Wogegen?«, erwiderte ich, weil ich Zeit gewinnen musste, um zu überlegen.
    Â»Na, gegen die Schlaflosigkeit natürlich.«
    Â»Nichts. Das heißt… Doch… Ich…«, stotterte ich.
    Â»Wie bitte?«, fragte er
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