Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtwandler (German Edition)

Nachtwandler (German Edition)

Titel: Nachtwandler (German Edition)
Autoren: Jule Becker
Vom Netzwerk:
ausgeschlossen, dass ich das Ding halte. Der Gefoulte selbst setzt den Ball auf den Elfmeterpunkt, wartet noch die Freigabe durch den Schiedsrichter ab, nimmt Anlauf und schießt. Ich weiß nicht warum, aber ich habe plötzlich das Gefühl, dass der Ball in die rechte, obere Ecke gehen wird. Ich mache mich lang, hechte nach rechts oben und kann es selbst kaum fassen, dass ich einen Moment später den Ball tatsächlich zwischen den Händen halte.
    Der Schütze lässt sich auf die Knie fallen und den Kopf hängen. Und ich – ich finde mich in der nächsten Sekunde mit dem Rücken auf dem Rasen wieder. Drei meiner Teamkollegen haben mich unter sich begraben und ich japse: „Ihr Verrückten, zerquetscht mich nicht!“, lache ich. Ich schwitze wie ein Schwein und mir tut der ganze Körper weh, insbesondere an den Stellen, die die Jungs mit ihren Ellbogen und Knien voller Übermut malträtieren, dennoch bin ich einfach nur irre glücklich.

    *

    „Du warst toll!“ Leo strahlt über das ganze Gesicht, als ich frisch geduscht und umgezogen zu ihm auf die Zuschauertribüne steige.
    „Ich war Scheiße“, brumme ich und hole mir eine ordentliche Portion Trost-Kuss ab. Innerlich schmunzle ich. Seit Leo Blut geleckt hat, ist er nicht mehr zu stoppen. Er küsst einfach bei jeder Gelegenheit. Egal, ob wir zu Hause, im Club, beim Essen, bei einem Konzert – ja, da gehen wir mittlerweile tatsächlich gemeinsam hin, seit ihm keine Verwandlungen mehr das Leben schwer machen – oder eben auf dem Fußballplatz sind. Geküsst wird immer. Ihm doch egal, wer uns dabei zuschaut. Er ist schließlich Leonard von Heppstett. Diese Star-Allüren hat er nach wie vor. Aber ich störe mich nicht daran, im Gegenteil, ich finde sie sogar sehr … charmant. Es wäre eine glatte Lüge zu behaupten, dass ich es nicht zu schätzen wüsste, dass sich die meisten Türen bereits bei der Erwähnung des Namens von Heppstett ganz automatisch öffnen.
    Meine Mannschaft hat auch sehr schnell begriffen, dass keine kurvige Blondine mein Herz höher schlagen lässt, sondern ein schwarzhaariger, muskulöser und sehr männlicher Kerl. Sie stören sich aber nicht daran, behandeln mich als ganz normalen Menschen. Eine sehr willkommene Abwechslung nach dem Supergau vor einem dreiviertel Jahr in meiner alten Heimat. In dem dortigen Verein wusste niemand von meiner Homosexualität. Ich war der Meinung, dass es niemanden etwas angehen würde. Es kommt doch auch sonst niemand daher und stellt sich vor mit: Hallo, ich bin der Heinz und ich bin heterosexuell. Mal ganz ehrlich, was soll der Scheiß? Außerdem ist das Köln - die einen sind schwul, die anderen interessieren sich für Fußball. Bei mir trifft nun einmal beides zu. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es so ein Problem sein könnte.
    Okay, fairerweise muss ich zugeben, dass es nicht gerade eine meiner Glanzleistungen war, mich in der Umkleide dabei erwischen zu lassen, wie mir mein damaliger Freund den Schwanz … na ihr wisst schon was ich meine. Ich schüttle mich heute noch vor Scham, wenn ich nur daran denke. Danach war die Saison natürlich gelaufen – zumindest für mich. Ich vergammelte auf der Ersatzbank, sofern ich es überhaupt einmal in die Aufstellung geschafft hatte. Nett waren auch die wöchentlichen Botschaften meiner lieben Teamkollegen. Das in schweinchenrosafarbenem Lack auf meinen Spind gepinselte ‚Schwuchtel‘, war noch einer von den harmloseren ‚Streichen‘, wie der Trainer die Vorkommnisse abtat. Viel schlimmer waren die Behandlungen, die sie meinem Auto angedeihen ließen. Nach dem zweiten Satz durchstochener Reifen habe ich schließlich aufgegeben. Natürlich hat niemand etwas gesehen. Eine Krähe sticht doch der anderen kein Auge aus!
    Auch mit meiner damaligen Beziehung ging es rapide bergab. Im Nachhinein betrachtet weiß ich, dass ich eine große Schuld daran trage, denn nachdem es mit dem Fußball vorüber war, wurde ich regelrecht unleidlich. Paule hat sich das einige Wochen angeschaut und sich schließlich aus dem Staub gemacht. Danach brauchte ich dringend einen Tapetenwechsel.
    Mein Bruder hatte mir einen Job in seiner Firma als Kantinenkoch besorgt. Eine passende Wohnung war ebenfalls schnell gefunden und so hielt mich nichts mehr in meiner Heimatstadt.
    Am Anfang hatte ich nichts mit ‚Ausgehen‘ am Hut und noch viel weniger suchte ich einen neuen Freund. Nach einer halbjährigen Abstinenz entschied jedoch ein Kumpel meines Bruders, der mir gelegentlich bei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher