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Nachtmahl im Paradies

Nachtmahl im Paradies

Titel: Nachtmahl im Paradies
Autoren: Bennett Ben
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links und rechts wie Perlen aufgezogen waren. Im Winter, wenn weniger Kundschaft kam und sie es sich erlauben konnten, das Restaurant für mehrere Tage zu schließen, fuhren sie bis nach Paris.
    »Gibt es einen schöneren Ort auf dieser Welt, um sein hart erarbeitetes Geld an einem einzigen Tag und in einer einzigen Nacht zu verprassen, nur wir zwei?«, fragte Jacques sie einmal, als sie eines Heiligabends im Stau mitten auf den Champs-Élysées in den milchkaffeebraunen Sitzen ihres Autos festsaßen.
    Es hatte zu schneien begonnen – wenn auch nur für Minuten, was dennoch in Paris äußerst selten vorkam.
    Da hatte Elli die Hände von dem leise pfeifenden Gebläse genommen und sie ihm rechts und links auf die Wange gelegt. Wie warm sie gewesen waren!
    Er fühlte noch heute jeden einzelnen ihrer Finger, wenn er an diesen Moment zurückdachte. Sich etwas Moderneres zuzulegen als ein Auto, in dem sich so etwas ereignet hatte? Pff! Bestanden denn alle Menschen in seiner Umgebung allein aus Körper und Gehirn, hatte denn niemand mehr ein Herz? Das also waren die modernen Zeiten. Wenn sie so aussahen, konnten sie ihm ruhig gestohlen bleiben. Da lebte er, Jacques, lieber weiter in der Vergangenheit.
    Die DS stand hinter dem Haus, und wenn er sich morgens – andere Leute pflegten zu sagen: gegen Mittag – zu seiner kleinen Tour aufmachte, kam er stets bei Pferd und Esel vorbei. Zu diesem Zeitpunkt hatte er das Morgengebet in der Regel schon hinter sich. Für gewöhnlich begab er sich dazu nach oben auf den Piratenmast, wo ihm der aufziehende Tag demütig zu Füßen lag. Manchmal jedoch sprach er es auch an der Koppel, während er Pferd und Esel sanft übers Maul strich, so wie an jenem Morgen.
    »Lieber Gott, bitte schenke Elli und mir einen wunderbaren Tag. Uns zweien und allen, die wir lieben und die uns lieben. Inklusive Pferd und Esel.«
    An dieser Formel hatte er bis heute nichts geändert. Jacques war nicht besonders gläubig. Als er mit Elli durchgebrannt war, hatte er auch sein streng katholisches Elternhaus hinter sich gelassen, und mit ihm jene regelstrenge, eisige Frömmigkeit, die ihm oft genug als edel verkleidete Kaltherzigkeit begegnet war und ihn dem Glauben hatte abschwören lassen. Nur dieses eine kleine Relikt war ihm geblieben, diese zwei Zeilen eines selbst gedichteten Morgengebets, gerichtet an einen Gott, der hoffentlich ganz anders war, als es seine Eltern ihm hatten weismachen wollen. Er wünschte ihnen von ganzem Herzen, dass es nicht ihr Himmel war, in dem sie nun leben mussten.
    Es war noch recht früh für Jacques’ Verhältnisse an diesem Morgen. Über den Wiesen lag ein feiner silbriger Dunst, den die Sonne sicher bald vertreiben würde. Vom Meer wehte das Geschrei der Möwen herüber. Das Fell von Pferd und Esel war von einem glänzenden Schleier überzogen, während sie ihre breiten, feuchten Nasen wieder und wieder sanft in die Innenfläche seiner Hand stupsten.
    »Bis später«, wandte er sich an die beiden, »in etwa zwei Stunden bin ich zurück.«
    Nach Ellis Tod hatte er sich angewöhnt, Pferd und Esel wie ganz normale Menschen anzusprechen, so wie sie es früher gemacht hatte – selbstverständlich von ihm belächelt. Nun tat er es selbst und versuchte nachzufühlen, was sie empfunden haben musste. Treu der von ihr begonnenen Familientradition folgend, behandelte er die beiden Tiere so, als wären sie die Kinder, die ihm und ihr verwehrt geblieben waren. Elli hatte nicht schwanger werden können – warum, hatte niemand je mit Sicherheit herausgefunden.
    Für gewöhnlich fuhr er nicht länger als ein halbes Stündchen durch die Landschaft, um seine Gedanken für den bevorstehenden Tag zu ordnen und die jeweils süßen oder erschreckenden Träume der vergangenen Nacht hinter sich zu lassen. Doch heute musste er in die Stadt zu seinem Anwalt. Die Umstände zwangen ihn dazu. Das Amtsgericht hatte das Feuer eröffnet.
    Die Landstraße schlängelte sich in eleganten Kurven durch eine weite, flache Landschaft in den Pastelltönen des Sommers. Jacques ließ es langsam angehen. Er hatte keine Eile. Allein der Gedanke an das bevorstehende Gespräch mit seinem Anwalt verursachte ihm Bauchschmerzen. Gemächlich war er mit seiner goldgewandeten Göttin die Auffahrt hinauf bis zur Straße getuckert – er und das Paris waren die letzten Anlieger, bevor das Land ins Meer fiel –, um dann in den sanft dahinfließenden Rhythmus der Landstraße einzutauchen, die er kannte wie seine eigene
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