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Nachtmahl im Paradies

Nachtmahl im Paradies

Titel: Nachtmahl im Paradies
Autoren: Bennett Ben
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als der Nordstern. Und nun lag das Lokal in seinen letzten Zügen. Doch was kümmerte es ihn? Abgesehen davon natürlich, dass ihn die Sache endgültig den Kopf kosten würde.
    Über materielle Dinge fühlte er sich seit besagtem Tag vor sieben Jahren, welcher der Verwandlung vorausgegangen war, im Grunde erhaben. Denn im Gegensatz zu der Neonreklame, die nur wenige Wochen nach der eigentlichen Katastrophe zu bröckeln anfing, hatte er damals weit mehr als nur ein paar Buchstaben vom Paradies verloren. Genau genommen waren es vier Buchstaben gewesen, und zwar ganz andere als jene, die der Neonreklame fehlten. Vier Buchstaben, die für ihn persönlich das Paradies ausgemacht hatten. Seinen ganz privaten Himmel auf Erden: E-L-L-I. Gegen diesen Verlust war selbst das heruntergekommene Paris noch immer ein Postkartenmotiv. Sie waren zweiundzwanzig Jahre, einen Monat, zwei Wochen und einen Dreivierteltag lang verheiratet gewesen. Miteinander. Und mit dem Restaurant. Elli war gestorben – und er lebte. Noch immer. Das Leben war eine Klapperschlange.
    An jenem dunklen Tag hatte Jacques aufgehört zu kochen und den Hilfskoch zum chef de la cuisine ernannt, um sich selbst fortan dem Schwelgen in Erinnerungen zu widmen. Es sollten eine Reihe Chefköche dieser Güteklasse folgen und den Gästen das Paradies zur Hölle machen. Doch was nutzte das feinste Brot, wenn man niemanden mehr hatte, mit dem man es teilen konnte? Jacques hatte sich diese Frage wieder und wieder gestellt und bis zum heutigen Tage keine schlüssige Antwort darauf gefunden – eine Antwort, die ihn wirklich überzeugt hätte. Im Grunde hatte ihm die ganze Paris -Geschichte insgeheim sogar gefallen. Jeder, der die Stadt Paris ein wenig kannte, wusste, dass sie Himmel und Hölle zugleich war – und so verhielt es sich nun eben auch mit seinem Restaurant. Ellis Tod war die Vertreibung aus dem Paradies gewesen, daher war es Jacques nur folgerichtig erschienen, dass auch das Paradies nicht mehr dasselbe sein konnte wie zuvor. Dass es Federn lassen musste.
    »I ♥ Aschenbecherherz.«
    Der Porzellanaschenbecher mit der eigenwilligen Gravur, den Jacques Elli geschenkt hatte, stand noch immer auf dem Nachttisch auf ihrer Seite des Bettes. Sie hatte nicht aufhören können zu rauchen, selbst als der Lungenkrebs bereits diagnostiziert war – also hatten sie es mit Humor genommen. Jacques erinnerte sich nicht, ob er es gewesen war, der ihr den Spitznamen verpasst hatte, oder sie selbst. Elli – Elodie, wie ihre Eltern sie getauft hatten, weil der Name sich so schön auf Melodie reimte und sie stolz darauf waren, etwas so Wunderbares komponiert zu haben – hatte über einen robusten Humor verfügt. Und das war nur eine der vielen Eigenschaften, die sie zu der einzigen Frau gemacht hatten, für die Jacques jemals Augen gehabt hatte. Ihre innere Schönheit glich ihrer äußeren. Nun ja, abgesehen von ihrer Lunge.
    Die beiden hatten sich in den Sommerferien kennengelernt. In einem kleinen Café in der Normandie, genauer gesagt in Trouville-sur-Mer. An der Côte Fleurie, der Blumenküste, umweht vom milden Wind des Ärmelkanals. Zusammen mit Deauville bildete Trouville das Duo der zwei schönen Schwestern am Atlantik. Deauville war berühmt für seine Pferderennen, sein Casino, sein Filmfestival und seinen Strand, wo die Damen der feinen Gesellschaft seltsam aussehende Hunderassen mit noch seltsameren Namen wie Epagneul Breton oder Dogue de Bordeaux spazieren führten oder ihr winziges Yorkshire-Baby mit rosa Schleifchen im Haar in ihrer Hermès-Handtasche herumtrugen. Nur zwei Stunden entfernt von Paris, war es doch eine andere Welt. Ein Paradies. Endlose, der Zeit entwischte Tage am Strand, Nächte ohne Anfang und Ende. Alles war eins gewesen.
    Ursprünglich war Elli nur für zwei Wochen aus dem Elsass hergekommen, zusammen mit einer Freundin. Ihre Eltern betrieben in Straßburg eine Konditorei, in der sie mitarbeitete, obwohl sie viel lieber an der Sorbonne in Paris studiert oder etwas ganz und gar Verrücktes aus ihrem Leben gemacht hätte. Denn schon damals war sie ein überaus kluges Mädchen gewesen, um einiges klüger als er selbst – ohne jedoch jemals damit anzugeben. Er hatte nie einen bescheideneren Menschen als sie kennengelernt, und erst viel später sollte er von einem Philosophen namens Sören Kierkegaard lesen, der behauptete, es sei keine Kunst, ein Mädchen zu verführen – aber ein Glück, eines zu finden, das es wert war, verführt zu werden. Und
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