Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtmahl im Paradies

Nachtmahl im Paradies

Titel: Nachtmahl im Paradies
Autoren: Bennett Ben
Vom Netzwerk:
das war Elli, darauf konnte dieser Kierkegaard Gift nehmen.
    Sie war einundzwanzig gewesen. Jacques hatte gerade die Lehre zum Koch abgeschlossen. Sie waren gleich miteinander ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie eine innige Liebe zu Serge Gainsbourg einte – im Gegensatz zu ihr bestand Jacques jedoch darauf, dass seine Liebe rein musikalischen Ursprungs war – und sie darüber hinaus am selben Tag im Dezember das Licht der Welt erblickt hatten, nur dass sie ihr Ticket bereits ein Jahr vor ihm gelöst hatte. Da war der Gedanke, miteinander durchzubrennen, schnell gefasst. Nun würden sie also tatsächlich etwas ganz und gar Verrücktes aus ihrem Leben machen. Kaum einen Monat später heirateten sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einer winzigen Kapelle am Meer. Das Gotteshaus war so winzig, dass ohnehin keine weiteren Hochzeitsgäste hineingepasst hätten – jedenfalls nicht, ohne dass es dicke Luft gegeben hätte.
    Elli sollte nicht wieder zurückkehren in die Konditorei ihrer Eltern. Warum auch? Schließlich hatten sie das Paradies entdeckt. Im Grunde war es nicht mehr als eine Strandbude – ein kleiner Imbiss an einer pittoresk gelegenen Bucht ein paar Kilometer außerhalb von Trouville. Sie übernahmen ihn von einem Pächter, der aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit diversen Schuldnern, die sich wiederum alle einig waren in ihrer pessimistischen Haltung ihm gegenüber, dringend das Weite suchen musste. Er überschrieb seinen Pachtvertrag Jacques und Elli gegen eine Aufwandsentschädigung von fünfhundert Franc. Jacques’ und Ellis Konzept sah vor, die Küche ein wenig aufzupeppen und im Gegensatz zu den örtlichen Gepflogenheiten freundlichen Service anzubieten.
    Nachdem der rechtmäßige Besitzer der Strandbude die Übernahme des Pachtvertrags im Nachhinein für ungültig erklärt hatte, mussten sie diesen zusätzlich kostenlos bewirtschaften, um ihren Traum nicht vorzeitig versanden zu sehen. Schließlich und endlich zerlegte ein heftiger Wintersturm die Strandbude, so dass Jacques und Elli eines Morgens, es waren keine fünf Monate seit der Übernahme vergangen, vor dem Aus standen. Offenbar mundeten dem Eigner der vom Winde verwehten Holzhütte Jacques’ schon damals außergewöhnlich raffinierte Kochkunst und Ellis charmanter Service jedoch derart gut, dass er für sie ein neues, strahlend weiß getünchtes Haus baute. Wie gemacht für ein kleines, feines Restaurant.
    Jacques war erst Anfang zwanzig, aber wenn er für etwas ein Gespür hatte, dann für gutes Essen. Sein Vater war Jäger gewesen, bevor ihn einige Kollegen irrtümlich für ein Wildschwein gehalten und erlegt hatten. Seine Mutter hatte das, was der Vater nach Hause gebracht hatte, in einer Art und Weise für den kleinen Jacques und dessen Erzeuger zubereitet, dass ihm der Gedanke daran noch heute das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Sie war ein Naturtalent gewesen. Im vergangenen Jahr war sie leider verstorben, genau wie Elli im Rahmen seines Sieben-Schlechte-Jahre-Programms, doch als Köchin war sie sein großes Vorbild geblieben. Auch wenn sie im Gegensatz zu ihm nie einen Michelin - Stern verliehen bekommen und sich darüber hinaus mehr für ihr Gebetbuch als für Kochrezepte oder den kleinen Jacques interessiert hatte.
    Nun war er selbst ein Mann von bald schon nicht mehr neunundvierzig Jahren, der früh alles gewonnen und zu früh alles wieder verloren hatte. Die Zwangsversteigerung käme für ihn einem schalen, misslungenen Dessert nach einem fantastischen Hauptgang gleich, dessen Geschmack er noch immer auf der Zunge spürte – und zugleich dem Amuse-Gueule, der Ouvertüre, dem Anfang für einen neuen, hungrigen Betreiber. Einen neuen Jacques. Einen Jacques voller Kraft und Jugend, der, so wie er damals mit seiner Elli, auf und davon war und darauf brannte, den Grundstein für ein Restaurant zu legen, von dem schon bald die Welt sprechen würde. Er selbst, der echte, alte Jacques, war zu müde, um noch einmal so etwas auf die Beine zu stellen.
    Im heutigen Paris wurden Touristen veräppelt, ohne dass Obst überhaupt auf der Karte stand. Lange Zeit hatte das Lokal von seinem Ruf aus vergangenen Tagen gezehrt, doch nun war dieser leider Gottes endgültig verflogen wie der Duft des Kaffees am Ende eines Menüs im Wind des Atlantiks. Jacques spielte mit dem Gedanken, dem Leben Lebewohl zu sagen und seiner Elli nachzufolgen, deren Grab er jeden Tag besuchte. Was ihn daran hinderte, war nicht so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher