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Nachtmahl im Paradies

Nachtmahl im Paradies

Titel: Nachtmahl im Paradies
Autoren: Bennett Ben
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sehr das hoffnungslos heruntergekommene Restaurant. Nein. Es waren das Pferd und der Esel.
    Wenn er das Dach des weißen, schindelbedeckten Hauses bestieg, konnte er sie sehen. Oberhalb des Restaurants und der kleinen Pächterwohnung befand sich der Piratenmast – eine Aussichtsplattform aus Stahl, die er nach dem Kauf des Anwesens eigenhändig errichtet hatte, weil der ursprüngliche Inhaber trotz aller Zuneigung derartigen privaten Komfort für seine Pächter nicht vorgesehen hatte. Hier hatten er und Elli oft gesessen und den Sonnenuntergang betrachtet, manchmal auch Sonnenuntergang und Sonnenaufgang nacheinander. Hinter dem Haus hatten sie eine kleine Wiese gepachtet. Elli wünschte sich ein Pferd, also schenkte Jacques ihr eins – ein langbeiniges, elegantes Fohlen, dessen erste Laufversuche aussahen wie die eines kleinen Mädchens auf Highheels. Damit es nicht einsam war, stellten sie ihm einen Esel bei. Die Tiere hatten Elli überlebt, und Jacques fühlte sich für sie verantwortlich. Die beiden waren seine Familie. Das Einzige, was ihm geblieben war.
    Bis heute hießen sie nur Pferd und Esel, und doch waren sie von dem Moment an zu einem bedeutenden Bestandteil seines Lebens geworden, als Elli eines Nachts mit einem theatralischen Seufzer in seinen Armen festgestellt hatte, dass der Mensch sich nicht wirklich von Pferd und Esel unterscheidet. Jeder Mensch braucht sein Beistellpferd, um nicht einsam zu sein – selbst wenn es nur ein Esel ist. Die Frage, wer von ihnen beiden der Esel sei, ließ sie charmant offen, dafür hauchte sie ihm einen an den feinen marokkanischen Mokka erinnernden Kuss auf den Mund, an dem sie vor dem Schlafengehen noch genippt hatte. Einen Kuss, den er noch heute auf seinen Lippen schmeckte.
    Dabei war ihr erster Flirt verlaufen wie das Holpern einer Kutsche auf Kopfsteinpflaster. Eben so, wie es nicht selten zur Standardausstattung der mitunter merkwürdigen Wege zu gehören scheint, die das Schicksal uns einschlagen lässt.
    »Wie alt bist du?«, fragte sie ihn, als er sie zum Tanzen aufforderte – so als müsse man erst noch eine Reifeprüfung ablegen, bevor man anfängt, sich zusammen mit einem Mädchen im Rhythmus der Musik zu bewegen. An ebenjenem Sommerabend auf einer Riesenfete am Strand von Trouville, nur wenige Stunden, nachdem sich ihre Blicke im Café Le Central bereits schamlos miteinander vergnügt hatten! Trotzdem: Es konnte kein Zufall sein, dass sie sich hier ein zweites Mal begegneten. Und so flüsterte ihm seine innere Stimme zu, dass es nur ein Kuppler des Himmels sein konnte, der sie hier erneut zusammengeführt hatte.
    »Achtundzwanzig«, log er.
    »Du spinnst!«, erwiderte sie. Um ihm daraufhin zu verstehen zu geben, dass sie mit Männern, die jünger waren als sie selbst, bisher keine guten Erfahrungen gemacht habe. Ein amüsiertes Lächeln konnte sie dennoch nicht unterdrücken. Damit war das Eis gebrochen.
    Bereits wenig später tanzten sie eng umschlungen zu Richard Sandersons Teenie-Hymne »Reality«, dem Soundtrack des Films La Boum – die Fete , der in jenem Sommer ganz Frankreich in ein romantisches Tollhaus verwandelt hatte. »Met you by surprise, I didn’t realize that my life would change forever.« Begleitet von den letzten Takten, schenkte sie ihm ein geheimnisvolles Augenzwinkern. Ein Augenzwinkern, das Jungs, die noch grün hinter den Ohren waren, wahrscheinlich gar nicht registriert hätten. Er aber schon. Denn er war bereits ein Mann und kein kleiner Junge mehr. Er las Camus und Sartre – und eines Tages würde er so kochen, wie sie schrieben. Mit derselben Seele, derselben Leidenschaft. Eine gute Küche benötigte keine anderen Zutaten als eine gute Geschichte: ein heißes Herz und einen kühlen Kopf.
    Obwohl Jacques noch ein unbeschriebenes Blatt in seiner Zunft war – eine strahlend weiße Serviette –, erkannte er auf den ersten Blick, dass Elli alle Zutaten für das Menü seines Lebens mitbrachte. Rein äußerlich war sie ein verführerisches, süßes Dessert: ihr duftendes zitronengelbes Haar, ihre Lippen, die ihn samtig und rosarot wie überreife Himbeeren anlächelten, ihre avocadogrünen Augen, dazu eine Haut wie kubanischer Kakao. Doch was ihm ihre Augen versprachen, an jenem Abend, als sie endlich barfuß über den von der Glut der Nachmittagssonne warmgehaltenen Sand des Strands von Trouville schwebten, nachdem sie das Potenzial jüngerer Männer doch noch erkannt hatte, war eine verheißungsvolle Vorspeise. Der Vorgeschmack
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