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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter
Autoren: Petros Markaris
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obere Stockwerk weist fünf oder sechs nebeneinanderliegende Fremdenzimmer auf, Türen und Fensterläden sind blau gestrichen, vor der Taverne stehen kleine Tische und Stühle. Ein blonder, bärtiger Mann hat sich in einen Stuhl gefläzt und seine Beine auf einen zweiten gehievt. Er trägt die klassische Ausrüstung des Rucksacktouristen: abgeschnittene Jeans, ansonsten ist er nackt und barfuß. Er hat eine Gitarre auf seinen Bauch gestützt und schrammt auf ihr herum. Die Katzenmusik dringt schwach an meine Ohren.
    »Zum Glück treiben die sich hier herum und kommen nicht in den Hauptort«, meint der Polizeiobermeister.
    »Mal sehen, was sie uns zu sagen haben.«
    Als wir uns nähern, sehe ich, wie eine junge Frau mit streng nach hinten gekämmten, dunklen, doch vom Salzwasser etwas ausgebleichten Haaren aus der Taverne tritt. Aus der Ferne wirkt sie nicht älter als achtzehn. Sie trägt ein Bikini-Oberteil, eine kurze Hose und Sandalen. Sie stellt sich hinter den Bärtigen und beginnt, ihm den Rücken zu bearbeiten. Ich weiß nicht, ob sie ihn massiert oder ihm den Dreck abschrubbt, jedenfalls scheint es der Bärtige zu genießen. Er läßt die Gitarre los und legt seinen Kopf in den Nacken. Die junge Frau beugt sich hinunter und küßt ihn. Er bringt den Kuß hinter sich und fährt mit seiner Katzenmusik fort, die er augenscheinlich für wichtiger hält.
    Der Gedanke, daß ich zu unserer Verständigung auf mein miserables Englisch zurückgreifen muß, macht meine Laune nicht besser. Als wir bei ihnen eintreffen, blicken sie durch uns hindurch. Der Bärtige schrammt weiterhin teilnahmslos auf seiner Gitarre herum, und die junge Frau setzt die Massage fort. Aus der Nähe sieht sie älter aus, um die Fünfundzwanzig.
    »You found the dead?« frage ich wie aus der Pistole geschossen, da ich die Frage schon während unseres Anmarsches vorbereitet habe.
    Er hebt halb den Blick und sieht mich leicht genervt an, als hätte ich ihn im Zwiegespräch mit Eric Clapton unterbrochen. Die junge Frau läßt nicht von ihm ab.
    »No, Hugo did and then he called us. Anita, would you fetch Hugo, dear?«
    Die junge Frau unterbricht ihre Handarbeit und geht Hugo holen, während der Bärtige wieder an seiner Gitarre herumfingert.
    Ich wende mich zum Polizeiobermeister um. Der schüttelt schicksalsergeben den Kopf. »Sagen Sie gar nichts, ich muß mich jeden Tag mit so was herumschlagen.«
    »What’s your name?« frage ich den Bärtigen. Solange ich Sätze aus drei bis vier Wörtern bilde, komme ich gut voran. Darüber hinaus komme ich ins Stottern.
    »Jerry. Jerry Parker …«
    Anita und Hugo kommen die Treppe vom oberen Stockwerk herunter. Hugo ist ein an die zwei Meter großer Hüne mit kahlgeschorenem Schädel, einem gewaltigen Schnurrbart, der bis zum Kinn herunterreicht, und einem bronzenen Ohrstecker im linken Ohr. Er trägt einen geblümten Kaftan, folglich ist er ein Fixer. Trüge er ein Tigerfell, könnte er als Zirkusdompteur durchgehen.
    Die gleiche Frage noch mal, zum Aufwärmen. »What’s your name?«
    »Hugo Hofer.«
    »You found the dead?«
    »Yes« , entgegnet er. Es stellt sich heraus, daß er Deutscher ist und schlechter Englisch spricht als ich, was mir moralischen Auftrieb gibt. Unangenehm ist nur, daß ich kein Sterbenswörtchen seines Englisch mit deutschem Akzent verstehe.
    »Kapieren Sie was?« frage ich den Polizeiobermeister.
    Er zuckt verlegen die Schultern. »Kein Wort.«
    »Hören Sie … Ich erkläre Ihnen alles, damit Sie wissen, worum es geht«, sagt Anita plötzlich in fehlerfreiem Griechisch.
    Ich könnte ihr ein paar Ohrfeigen verpassen.
    »Sie sind Griechin?«
    »Ja …, Anita Stamouli …«
    Ein Engländer, ein Deutscher und eine Griechin. Schön und gut, sage ich erleichtert zu mir selbst. Wenigstens auf der Ebene der Taugenichtse erfüllen wir die Maastrichtkriterien.
    »Nun erzählen Sie uns schon, was passiert ist. Muß ich Ihnen alles aus der Nase ziehen?«
    »Gestern haben wir wegen des Erdbebens die ganze Nacht im Freien verbracht. Man konnte gar nicht an den Strand gehen, weil dort riesige Brecher heranrollten. Plötzlich, ungefähr um zehn Uhr abends, sehen wir, wie nach einem Erdstoß der Berg in Bewegung kommt und auseinanderbricht. Wirklich, so etwas habe ich noch nie gesehen. Wir sahen den Abhang herunterstürzen und sagten uns, jetzt begräbt er uns alle unter sich. Zum Glück sind wir heil davongekommen. Heute morgen – so gegen neun – meinte Hugo, er wolle mit seinem Motorrad
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