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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter
Autoren: Petros Markaris
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kurz in den Hauptort fahren, um zu sehen, was sich so tut. Zwei Minuten später kam er zurück. Kommt, meinte er, ich muß euch was zeigen. Wir sind mitgegangen, und da haben wir die Leiche gesehen. Hugo ist mit dem Motorrad zur Polizei gefahren und hat sie verständigt. Das ist alles.«
    Mit ihren klaren Angaben kann man etwas anfangen. »Sie werden mit uns auf die Wache kommen müssen, um Ihre Aussage zu machen«, sage ich.
    »Alles klar, ich darf also die Dolmetscherin spielen. Ich weiß zwar nicht, wozu das gut sein soll … Dieser Mensch ist seit gut drei Monaten tot.« Sie blickt mir in die Augen, und ein spöttisches Lächeln spielt um ihre Mundwinkel. »Wenn Sie seinen Hals genau betrachten, werden Sie feststellen, daß er Spuren eines Kampfes aufweist«, setzt sie hinzu.
    »Woher wollen Sie das wissen?« frage ich sie neugierig.
    »Ich studiere Medizin in London, mein Freund Jerry ist Mathematiker. Hugo haben wir hier kennengelernt, er schreibt seine Doktorarbeit in Philosophie und kam hierher, um sich davon zu erholen.«
    »Und wieso haben Sie nicht gesagt, daß Sie Griechin sind, und haben uns auflaufen lassen?«
    »Ich habe Ihren Blick gesehen, deshalb. Ich war sicher, daß Sie uns für Fixer halten.«
    Immer noch hat sie das spöttische Lächeln auf den Lippen. Sie weiß, daß sie mich in die Tasche gesteckt hat, und blickt mich von oben herab an.
    »Kommen Sie und zeigen Sie mir die Spuren, die Sie gesehen haben«, sage ich. »Und dann kommen Sie und der Deutsche mit mir auf die Polizeiwache, um Ihre Aussage zu machen.«
    Wir kehren zum Scheitelpunkt des Erdrutsches zurück. Der Polizeibeamte hat sich von der Leiche abgewendet und steht rauchend an einen Baum gelehnt. Ich ziehe das Bettlaken herunter.
    »Zeigen Sie her.«
    Sie kniet sich neben die Leiche. »Bitte schön, hier.«
    Ich beuge mich hinunter und betrachte die Stelle. Tatsächlich weist die dem Berg zugewandte linke Halsseite einige fast unsichtbare Kratzer auf. Ich schlucke und ärgere mich über mich selbst. Da wir ihn nackt fanden, hielt ich es für sicher, daß es Mord war, und suchte nicht mehr weiter. Ich muß zugeben, daß die junge Frau recht hat, doch ihr Gesichtsausdruck ärgert mich, und ich sage nichts.
    Ich höre das Tuckern eines Motorrads, das hinter uns stehenbleibt. Ich drehe mich, um und erblicke Hugo auf einem altmodischen Modell von der Sorte, wie sie die Deutschen im Krieg gebrauchten. Bestimmt war sein Großvater ein Nazi und hat es ihm vererbt.
    »Wir können Sie im Einsatzwagen mitnehmen. Das wäre doch bequemer für Sie«, meine ich zu der jungen Frau.
    Wieder setzt sie ihr ironisches Lächeln auf. »Ich nehme lieber das Motorrad. Wenn ich mit Ihnen im Streifenwagen fahre, glaubt der ganze Ort, Sie hätten mich mit Drogen erwischt.«
    Sie steigt hinter Hugo auf, und das Motorrad fährt mit ohrenbetäubendem Geknatter los.

4
    D reimal ertönt das Horn, und der Schornstein der Fähre taucht an der Spitze der Hafenmole auf. Kurz darauf schiebt sich der Bug ins Bild, seine weiße Masse wird immer länger und füllt bald die ganze Hafeneinfahrt aus. Das Schiff dreht nach links ab und beginnt, sich im Rückwärtsgang der Anlegestelle zu nähern, während die Heckklappe langsam heruntersinkt.
    Etwa dreißig Passagiere und ein halbes Dutzend Autos – die traurigen Überbleibsel des Sommers – warten darauf, sich nach Piräus einzuschiffen. Es sind gerade mal vier Tage seit dem Erdbeben vergangen, doch hier im Hafen, mit seinen spärlichen Häusern und den beiden Strandtavernen, erinnert nichts mehr daran. Das Meer ist spiegelglatt, die Sonnenstrahlen werfen ihr goldenes Licht darauf, zwei Schnellboote fahren mit aufheulendem Außenbordmotor im Hafenbecken auf und ab.
    Wäre da nicht die Leiche des Unbekannten gewesen, wir hätten gleich am Tag nach dem Erdbeben unsere Koffer gepackt, um der Familie meiner Schwägerin nicht zur Last zu fallen. Gewiß, das Haus ist nicht für unbewohnbar erklärt worden, doch sie müssen es von Grund auf renovieren. Meine Schwägerin ist so mitgenommen, als wache sie am Krankenbett eines nahen Verwandten, von dem man nicht weiß, ob er dem Tod noch einmal von der Schippe springt. Eigentlich wäre das eine gute Gelegenheit gewesen, diskret, aber entschlossen den Rückzug an unseren ruhigen häuslichen Herd anzutreten.
    Doch die Leiche machte uns einen Strich durch die Rechnung. Ich rief die Polizeidirektion in Ermoupoli an, doch dort hatte man wegen des Erdbebens alle Hände voll zu tun. Von
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