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Nachtengel

Titel: Nachtengel
Autoren: Danuta Reah
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stickigen, feuchten Luft. Anna spürte einen Luftzug an den Knöcheln und knöpfte ihre Strickjacke bis zum Hals zu.
    Der Staubsauger war in die Steckdose auf dem Flur draußen eingesteckt. Sie schaltete ihn an, merkte aber an dem schwachen Sog, dass der Beutel ausgewechselt werden musste. Schon wieder etwas, das extra Zeit kostete. Sie warf den vollen Beutel in ihren Putzkorb, setzte schnell und geübt einen neuen ein und saugte das kleine Stück Teppich gründlich ab. Mit ihrem Putztuch fuhr sie über die Tapetenleiste und die Oberflächen der Frisierkommode und des kleinen Nachttischs. Der Aschenbecher war leer und das Tablett mit den Sachen zum Teekochen unberührt. Mit ihrem Tuch wischte Anna über etwas Klebriges, Schmieriges, das einen braunen Fleck hinterlassen hatte. Sie wischte ihn weg, war aber mit dem Zimmer nicht recht zufrieden, als hätte sie etwas Wichtiges vergessen. Sie sah die Stores, die an den Scheiben klebten, und beschloss, das Kondenswasser abzuwischen. Vielleicht würde es dann weggehen, das … das war's! Dieser Geruch in der Luft! Der war schuld daran, dass einem das Zimmer unsauber vorkam. Einen Moment glaubte sie, etwas Verbranntes zu riechen – ein unbehagliches Gefühl erfasste sie, und ihr wurde leicht übel.
    Der Türflügel bewegte sich, als sie ihn abwischte, weil er einen Spalt offen stand. Jemand hatte die Glastüren aufgemacht und nur angelehnt. Deshalb war es hier so kalt. Warum würde jemand das tun? Um sich hinauszustehlen, ohne die Rechnung zu begleichen? Und dann ein gutes Kostüm und ein paar Schuhe zurücklassen? Jemand, der frische Luft schnappen wollte? Und das Zimmer inzwischen völlig ungesichert ließ? Ratlos schüttelte sie den Kopf. Wenn sie als Reinigungskraft im Hotel etwas gelernt hatte, dann war es eines, nämlich dass das Benehmen von Menschen, die von zu Hause weg sind, unergründlich ist. Sie musste die Türen fest zuschlagen, um sie abriegeln zu können. Der Geruch kam wahrscheinlich aus einem der Mülleimer im Hof und würde sich bei geschlossener Tür verlieren.
    Nur das Bad war noch zu machen. Sie sah auf die weiß gestrichene, fest geschlossene Tür neben der schmalen Diele. Die Gäste ließen die Badezimmertür meistens offen, und der Dampf zog zusammen mit dem Geruch nach Seife und Shampoo oder auch unangenehmeren Dingen ins Zimmer; die Handtücher lagen achtlos auf den Betten, dem Teppichboden und den Stühlen verstreut. Sie legte die Hand auf den Türgriff, scheute sich aber irgendwie, diese Tür zu öffnen. Dumme Hirngespinste! Sie drückte die Klinke nach unten und versuchte, die Tür aufzustoßen. Aber es ging nicht. Anna runzelte die Stirn. War sie abgeschlossen? Sie lauschte und hörte Wasser rieseln und durch die Rohre laufen. Sie klopfte. Stille. Wenn jemand im Bad wäre, dann wäre er oder sie doch bestimmt ins Zimmer gekommen und hätte ihr gesagt, sie solle mit dem Putzen warten, bis das Zimmer geräumt sei. Sie sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie die ganze, zuvor gewonnene Zeit wieder verloren hatte. Sie war spät dran. Bald würde Mrs. Fry herunterkommen, um nachzusehen, was sie tat. Der Gedanke daran scheuchte sie auf, sie fasste den Griff fester und drückte gegen die Tür. Jetzt erinnerte sie sich, dass sie manchmal klemmte. Trotzdem hatte sie ein unbehagliches Gefühl im Magen. Etwas schien sie aufzufordern, sich einfach abzuwenden. Sieh nicht nach! Vergiss es!
    Die Tür klemmte noch einen Moment und flog dann auf. Plötzlich stand sie in der heißen, feuchten Badezimmerluft in einem Geruch, der so durchdringend wie auf einem Fleischmarkt bei ihr zu Hause war. Scharf, widerlich und schmutzig.
    Das Wasser tropft und tropft, als sie durch die Büsche kriecht. Der Gestank von Verbranntem liegt noch in der Luft, aber es ist ein abgestandener Geruch. Asche, die Reste eines Feuers. Feuer bedeuten doch sonst Wärme und Feste, Musik und Stimmen. Stimmen! Sie hält inne, horcht. Stille, nur das Tropfen des Wassers. Aber der Feuergeruch vermischt sich mit einem anderen, schweren, süßlichen Geruch von etwas Verdorbenem.
    Jetzt kann sie das Haus sehen. Es steht außerhalb des Dorfes am Waldrand. Der Feuergeruch kommt natürlich vom Dorf, nicht von ihrem Haus. Sie späht durch die Blätter und horcht, ob sie nicht die Stimme der Mutter hört, die die Kinder ruft, oder ihren Vater, der mit den Männern zusammen eine Pause macht und mit ihnen lacht. Sie werden sich alle sorgen. Sie ist weg gewesen, wie lange, zwei Nächte? Drei? »Ich
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