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Nachtengel

Titel: Nachtengel
Autoren: Danuta Reah
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bin wieder da …«, flüstert sie und späht durch die Blätter auf die Überreste ihres Hauses und auf das kleine Bündel, das auf der Schwelle liegt und aus dem ein Schuh auf die Büsche zeigt, hinter denen sie sich versteckt. Der Regen muss das Feuer gelöscht haben. Sie sieht das Wasser von den Traufen und dem kaputten Dach tropfen.
    Anna war auf etwas getreten und sah nach unten, wich unwillkürlich zurück und wischte automatisch den Fuß auf dem Teppich ab. Der Boden war nass. Etwas tropfte auf ihren Hals, sie zuckte zusammen und fuhr herum. Wassertropfen kamen von der Decke, und die Wände glänzten feucht. Ein stetiges Geräusch von rieselndem Wasser ertönte aus der Badewanne, wohl vom Duschkopf, aber nur schwach. Der rosafarbene, durchsichtige Duschvorhang war vorgezogen. Das Wasser lief, floss und rauschte in den Rohren und gurgelte im Abflussloch.
    Jemand lag in der Wanne. Das war ihr erster Gedanke. Jemand ließ ganz langsam Wasser laufen und hörte nicht auf Geräusche, Bewegungen, den Staubsauger, den Lärm vom Putzen. Jemand …
    … Sie ist jetzt an der eingeschlagenen Tür. Dahinter – Mutter, Vater, der Tisch, wo sie immer alle sitzen und reden, und die Kleinen rennen herum und der Geruch von … Scharf, verrottet.
    Langsam streckte Anna die Hand aus und zog den Vorhang zurück.
    Sie dachte, es wäre ihre Mutter.
    Die Frau – es war eine Frau, das konnte sie erkennen – war in der Wanne zusammengesunken. Sie sah … wie zerbrochen aus, ein Spielzeug, das heruntergefallen und zersprungen ist. Ihr Gesicht – Krischa …? – das Gesicht wie Krischas Puppe, sie waren auf das Gesicht von Krischas Puppe getreten, und es war verzerrt und zerschlagen, die Augen in den Augenhöhlen verdreht, der Mund zu einem grausigen Grinsen verzogen. Krischas Puppe! Das Wasser aus dem Duschkopf tropfte vom Haar der Frau. Bänder, es ist wie … Ihr erster Gedanke war, dass sie eigentlich stärker bluten müsste. Dann versagten ihr die Knie, und ihr Körper wurde kalt. Ihr Mund füllte sich mit Speichel, und ihr schwindelte. Sie konnte nichts dagegen tun. Ihre Knie schlugen auf dem Boden auf. Sie spürte durch die Strümpfe die Feuchtigkeit an den Beinen. Ihre Hände rutschten am Badewannenrand entlang und versuchten, sich festzuhalten. Ich will nicht, dass es mich berührt!
    Sie zog sich hoch, stand aufrecht, drehte das Wasser im Waschbecken voll auf und wusch sich Hände und Gesicht. Dann spülte sie immer wieder den Boden ab und versuchte, alles sauber zu machen, Ordnung zu schaffen, ihre Arbeit zu tun. Sie zog das Handtuch von der Stange, spürte seine Feuchtigkeit an ihren Händen und ließ es zu Boden fallen. Etwas schwamm in der Toilette. Sie drückte immer wieder auf die Spülung. Ihr Blick schoss hektisch von der Handtuchstange zum Waschbecken, zu den Wassergläsern und zur Badewanne … Nein! Sie starrte auf den Boden und konzentrierte sich auf die Fugen zwischen den Fliesen.
    Zwischen der Kloschüssel und der Badewanne lag etwas auf dem Boden. Ein Stück Papier, nein, eine Karte, eine Visitenkarte, die auf dem nassen Boden klebte, etwas, das jemandem, der dort gesessen hatte, aus der Tasche gefallen sein musste, jemandem der neben der Badewanne saß und vielleicht mit der Person redete, die sich duschte und die … das Geräusch des Wassers, als sie durch die Büsche kriecht … Der Gestank von Verbranntem stieg ihr in die Nase. Sie fühlte Brechreiz. Abfall auf dem Boden. Sie bückte sich automatisch, hob die Karte auf und betrachtete sie, ließ sie wieder fallen.
    Dann war sie wieder im Zimmer, ihre Beine zitterten, sie hielt sich an der Tür und den Wänden fest, nur damit sie aus dem Bad herauskam. Sie musste jemanden holen, musste Hilfe holen, sie musste … sie musste …
    Sie musste nachdenken.
    Sie machte den Staubsauger auf und nahm den Beutel heraus, den sie eingesetzt hatte, bevor sie anfing, das Zimmer zu putzen. Der alte Beutel war zum Bersten voll, aber sie schaffte es, ihn wieder hineinzuschieben, ohne dass er zerriss oder zu viel von dem Inhalt herausfiel. Sie faltete den neuen Beutel wieder zusammen und steckte ihn in die Tasche. Ihre Hände zitterten. Sie nahm das Bettzeug und die Handtücher und trug sie die Kellertreppe zum Wäschekorb hinauf. Sie horchte. Verkehrsgeräusch in der Ferne. Schritte im Flur des nächsten Stockwerks. Schnell. Sie musste sich beeilen.
    Sie zog einige Teile des schmutzigen Bettzeugs aus dem Korb und stopfte ihre Ladung tief unten hinein. Die
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