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Nachtblauer Tod

Nachtblauer Tod

Titel: Nachtblauer Tod
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Bowle gestern völlig weggehauen, und ich bin in einem Albtraum gelandet?
    Ist das hier ein Horrortrip?
    Hat irgendein Idiot heimlich Drogen in die Getränke gekippt, wie ich den Weinbrand?
    Gab es einen Stoff, der erst nach zig Stunden wirkte?
    Leon begann zu hoffen, dass es so war.
    Worte drangen zu ihm durch: »Familientragödie.« »Katastrophe.« »Unglaublich.« »Alles voller Blut.« »Mord.« »Noch nie gesehen.« »Wie im Blutrausch.«
    Leon versuchte, seine rechte Hand zu heben und seinem Vater zu winken. Er wollte auf sich aufmerksam machen, aber seine Muskeln gehorchten ihm nicht. Er konnte seinen Vater auch nicht rufen. Etwas hatte ihn wieder in die Situation unter der Eisdecke katapultiert.
    Dann schloss sich die Tür des Rettungswagens hinter seinem Vater. Das Geräusch löste Leons Erstarrung. Schreiend rannte er auf den Wagen zu.
    »Neeeeiiiin! Papaaaaaa! Nein!«
    Aber der Wagen fuhr an. Leon klammerte sich an den Türgriffen fest. Er wurde ein paar Meter mitgeschleift.
    Oma Schröder kreischte: »Um Himmels willen, der Junge!«
    Der Rettungswagen gab Gas bis zur Kreuzung, dann stoppte er abrupt, weil der Fahrer hinter sich die wild gestikulierenden Menschen gesehen hatte. Leon sah er nicht, der befand sich im toten Winkel.
    Durch die Bremsung krachte Leon erst gegen die Tür, dann auf die Straße. Er rollte ein paar Meter, schlug mit den Ellbogen und Knien hart auf den Asphalt, und sein Gesicht wurde aufgeschürft, aber es tat nicht weh. Stattdessen kam er schlagartig zur Besinnung. Das hier war kein Albtraum.
    Kai Olschewski beugte sich über Leon. »Hast du dich verletzt?«
    »Nein. Was ist hier los?«
    Leon wollte sich aufrichten und nach dem Rettungswagen sehen, aber Kai Olschewski drückte ihn auf den Rücken zurück.
    »Junge, du musst jetzt ganz stark sein.«
    »Lass mich! Ich will zu meinem Vater!«
    Der Rettungswagen fuhr wieder an, und ein uniformierter Polizist und ein Sanitäter liefen auf Leon zu.
    Oma Schröder rief: »Das ist der Junge! Da!«
    In dem Moment schoss ein Schreckensgedanke durch Leons Hirn. Die Kriminaltechniker waren ins Haus gegangen. Sein Vater war herausgetragen worden. Dort auf dem Gehweg stand ein zweiter Rettungswagen, aber auch ein Leichenwagen parkte vor dem Haus, von einem Polizeifahrzeug fast verdeckt.
    Wie Blitze nahm Leon diese Bilder wahr, dann kreischte er: »Meine Mutter! Was ist mit meiner Mutter?«
    Er raffte sich auf. Kai Olschewski stellte sich ihm mit aufgeblähter Brust in den Weg. »Geh da jetzt nicht rein, Junge.«
    Dass ihn plötzlich alle Junge nannten, machte Leon zusätzlich zornig. Außerdem verriet ihm der Satz von Kai Olschewski, dass es gar nicht um seinen Vater ging, sondern um seine Mutter, und die war immer noch da oben in der Wohnung im zweiten Stock.
    In diesem Augenblick wusste er, dass seine Muter tot war, und alles in ihm lehnte sich dagegen auf. Er sprang zur Seite und versuchte, an Kai Olschewski vorbei, zwischen Polizist und Sanitäter durch zum Haus zu kommen. Dem Sanitäter stieß er gegen die Brust. Der schmächtige Mann taumelte zurück. Er verlor gleich den Mut. Der Polizist sah sich nach Verstärkung um, aber Kai Olschewski griff von hinten zu und hielt Leon am Ärmel fest. Das Hemd riss.
    Es war ein Reflex, nicht geplant und nicht gewollt. Noch vor wenigen Minuten hätte Leon gesagt, dass er sich niemals und unter gar keinen Umständen mit Kai anlegen würde. Er war nicht dumm genug, um sich mit diesem Muskelpaket zu prügeln, doch jetzt verpasste er ihm einen rechten Aufwärtshaken. Er traf nicht Kai Olschewskis Ohr, sondern seinen Hals. Der Schlag stoppte Olschewksi und erschreckte ihn. Erstens bekam er keine Luft mehr, und zweitens war er überrascht, dass jemand es wagte, die Hand gegen ihn zu erheben. Diese Zeit war endgültig vorbei. Doch Leons Faust erinnerte ihn schmerzhaft daran, dass es einmal so eine Zeit für ihn gegeben hatte. Eine demütigende Zeit, in der er gekuscht hatte, gemobbt worden war und Prügel einstecken musste. Er hatte geglaubt, das nie wieder erleben zu müssen.
    Der Mann, um dessen Hals die rote Krawatte wie ein Strick baumelte, an dem er aufgehängt werden sollte, stellte sich Leon in der Haustür in den Weg.
    »Mein Name ist Büscher. Hauptkommissar Büscher. Du kannst da nicht rein.«
    »Hauen Sie ab! Ich heiße Leon Schwarz. Ich wohne hier.«
    »Dann bleib erst recht hier, Junge.«
    Da war dieses Wort wieder, das Leon zu hassen begann: Junge.
    Leon machte einen Ausfallschritt nach rechts.
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