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Nachtblauer Tod

Nachtblauer Tod

Titel: Nachtblauer Tod
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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dass du doch noch gekommen bist. Ist nix im Fernsehen?«
    Jessy glaubte, Johanna damit echt eins verpasst zu haben und stolzierte, mit Hintern und Hüften provokativ wackelnd, zur Tür. Sie ging ganz sicher davon aus, dass Leon ihr folgen würde, aber der blieb bei der Bowle und bei Johanna. Er schenkte sich ein Glas ein.
    »Versuch das ja nie mit mir, du Vollhorst. Da bleibst du nämlich mit der Zunge an der Zahnspange hängen!«, giftete Johanna und grinste ihn provozierend an, dabei ließ sie das Silber auf ihrer Kauleiste blitzen. Sie war genauso nervig, wie Ben immer erzählte.
    Leon suchte Jessy. Die tanzte inzwischen Klammerblues mit Ben und sah konsequent an Leon vorbei oder durch ihn hindurch, als ob er nicht da wäre.
    Sie machte einen beleidigten Eindruck auf Leon. Vermutlich war sie sauer, weil er nicht sofort hinter ihr her gedackelt war.
    Dafür fixierte Johanna ihn jetzt. Sie hielt sich jeweils in der von ihm am weitesten entfernten Ecke des Raums auf, ließ ihn aber nicht aus den Augen. Wenn er zu ihr sah, zog sie Grimassen.
    Wenn alle Mädchen so wären, würde ich schwul, dachte er und holte sich noch ein Glas Bowle.
    Wie affektiert Jessy jetzt mit Ben turtelte … Dabei achtete sie genau darauf, dass Leon alles mitbekam.
    Sie will mich echt eifersüchtig machen, dachte er.
    Die Bowle kam ihm plötzlich ungenießbar vor. Zu süß. Er ging zu süffigeren Drinks über. Ben hatte zwei Kästen Flens besorgt und dann noch Altbier. Aber das Düsseldorfer schmeckte Leon auch nicht. Da ploppte er lieber ein Flens. Er mochte das Geräusch, wenn der Bügelverschluss aufsprang. Bier spritzte hoch, und ein paar Schaumflocken landeten auf seinem weinroten Seidenhemd.
    Inzwischen war er eigentlich zu betrunken, um nach Hause zu gehen, aber zu nüchtern, um zu bleiben.
    Leon ließ sein Fahrrad stehen und wankte durch die kalte Luft. Die lila Finsternis umfing ihn wie eine schützende Hand. Als er an der Geeste ankam, war ihm schlecht, so als hätte ein Teil von ihm bereits Ahnung von dem, was ihn zu Hause erwartete.
    Er hatte Seitenstechen und war außer Atem. Erst jetzt merkte er, dass er völlig sinnlos gerannt war und eine kurze Pause brauchte.
    Eine Wolke schob sich vor den Vollmond. Der Himmel war nachtblau. Leon sah sich die Sterne an. Er liebte solche Nächte. Der Wind wühlte in seinem Haar. Die Luft schmeckte nach Meer.
    Sein Handy furzte. Jessy.
    Warum er denn schon gegangen sei. Jetzt ginge es doch eigentlich erst richtig los.
    Er verstand sich selbst nicht. Statt zurückzulaufen ging er weiter in Richtung Prager Straße. Etwas trieb ihn nach Hause. Er wusste nicht, was es war, aber es war sehr stark. Auf eine irre Art stärker als er selbst.
    Nein, er hatte keine Angst davor, Ärger mit seinen Eltern zu kriegen. So waren sie nicht. Sie waren zwar nicht so cool wie Bens Mutter, aber sie hatten genug mit sich selbst zu tun und gar nicht viel Zeit, um ihn an der Leine zu führen.
    Eine Straßenlaterne flackerte. Es sah aus wie kleine Blitze, die durch die Nacht zuckten. Vor dem Columbus-Center knutschte ein Pärchen. Im ersten Moment glaubte Leon, dort seinen Mathelehrer zu erkennen, aber dann war es doch ein völlig Unbekannter. Die rothaarige Frau hatte das Gesicht mit Lippenstift verschmiert. In der Spiegelung des Schaufensters sah es aus wie Blut, als hätte sie einen Vampir geknutscht und der ihr das Gesicht zerfetzt.
    Leon fand die Idee, jetzt so angetrunken zu Hause aufzutauchen, plötzlich gar nicht mehr gut.
    Es war kurz vor zwölf. Er stellte sich vor, dass seine Mutter, wie meistens um die Zeit, mit einem dicken Kissen im Rücken im Bett lag und mit einer Tafel Schokolade neben sich einen Krimi las. Sie war keine Leseratte. Eher schon ein Lesehai. Sie verschlang Bücher. Sie brauchte Krimis zum Leben wie andere Leute Bratwürstchen, Filetsteaks oder Pizza. Dabei betonte sie – auf ihre Leidenschaft angesprochen – gern, dass Lesen weder dick noch doof mache.
    An ihren Rändern unter den Augen erkannte Leon, ob sie gerade einen guten Kriminalroman erwischt hatte oder nicht. Die richtig aufregenden Krimis hielten sie bis zur Erschöpfung wach. Dann hatte sie am nächsten Morgen Rückenschmerzen, schwarze Ränder unter den Augen und war unkonzentriert. Innerlich jagte sie den Täter, wog Zeugenaussagen ab und überprüfte Alibis auf ihre Glaubwürdigkeit. Im Moment las sie den dritten Teil von Stieg Larssons Trilogie. Das Buch hatte sie völlig in den Bann gezogen.
    Sie war also garantiert
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