Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
aus dem Haus. Gegen fünf kommt sie heim. Außer freitags. Da ist sie später zurück, so gegen acht.«
    »Wo geht sie freitags hin?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Sie belügen mich schon wieder. Hören Sie, es ist mein Beruf, so etwas zu erkennen. Ich rieche eine Lüge fünf Meilen gegen den Wind. Wie Sie Ihre Hände hinter dem Rücken verbergen, damit ich nicht sehe, dass sie zittern. Wie unstet Ihr Blick umherirrt. Sie schlucken ständig, das ist ein klassisches Zeichen. Durch den Stress beim Lügen leiden Sie unter einem trockenen Mund.«
    »Sie ist freitags im Pub«, sagte sie leise.
    »In welchem?«
    »Im Falcon.«
    »Haben Sie Julia selbst dort gesehen, oder hat sie Ihnen das nur gesagt?«
    Sie zögerte. Dann stieß sie einen langen Seufzer aus und gab ihren Widerstand auf. »Mein Sohn hat sie dahin verfolgt«, erklärte sie. »Er … hat sich in sie verguckt. Das kann ihm keiner übel nehmen! So ein hübsches Ding wie sie, und nicht verheiratet! Er konnte ja nicht ahnen, was sie insgeheim treibt.«
    »Sagen Sie bitte nicht, dass er im DMWD arbeitet.«
    »Im … was?«
    Als er ihr verwirrtes Gesicht sah, atmete er innerlich auf. Offenbar hatte sie vom Directorate of Miscellaneous Weapons Development , der Waffenentwicklung, noch nie gehört. »Was ist er von Beruf?«
    »Mein Sohn arbeitet als Busfahrer bei der London Transport. Er fährt einen von diesen roten Doppeldeckern.«
    Dann war seine Verliebtheit reiner Zufall, und nicht bewusst geschürt von Nachtauge, um an Informationen heranzukommen.
    »Sind die beiden ein Paar?«
    »Er hat ihr Blumen gebracht, aber sie hat ihn eiskalt abblitzen lassen. Das ist schon ein halbes Jahr her. Ich hab ihm gesagt, er soll sich das Mädchen aus dem Kopf schlagen. Er kann das nicht, sagt er. Er wohnt am anderen Ende der Stadt, in Stepney draußen, und jedes Mal, wenn er mich besuchen kommt, denkt er die ganze Zeit an Julia. Fragt mich, ob sie gerade zu Hause ist und so. Er ist rasend vor Liebe! Dabei haben sie kaum ein Wort miteinander gesprochen. Er merkt nicht, wie es ihn zugrunde richtet, am Haken dieser Frau zu zappeln. Das hat er doch nicht nötig, einem Weibsbild heimlich nachzulaufen! Mein Junge hat einen ordentlichen Job, er ist gesund und kräftig. Er könnte sich eine Frau suchen, die ihn liebt, viele würden ihn liebend gern heiraten. Wenn ich gewusst hätte …«
    Was lockte sie freitags ins Falcon? Wen traf sie in dem Pub? Ein regelmäßiges wöchentliches Zusammentreffen, das musste eine professionelle Bedeutung haben. Gab es rund um Nachtauge eine ganze Gruppe, die der MI 5 bisher nicht enttarnt hatte? Vermutlich kannte das Gruppenmitglied, dem sie durch die Tierkadaver Botschaften vermittelte, nicht ihr Gesicht, und sie achtete darauf, dass das so blieb. Das andere Gruppenmitglied hingegen, das sie freitags im Falcon traf, kannte ihr Äußeres. Der Kadaverspion und der Spion aus dem Pub wussten nichts voneinander, Nachtauge führte die Gruppe nach ihren eigenen Regeln. So musste es sein. Nur sie kannte alle Gruppenmitglieder. Ein übliches Prinzip.
    Er war ihr so dicht auf den Fersen! Bevor sie London verließ und auf dem Land untertauchte, musste sie der Gruppe eine Nachricht übermitteln. Das Pub, übermorgen, war ihre beste Chance.
    »Mein Sohn wird doch nicht ins Gefängnis kommen?«, fragte die Frau und sah ihn mit Kuhaugen an.
    »Hängt davon ab, wie gut er uns jetzt zuarbeitet. Ich muss ihn treffen. Sofort.«

4
    Als er sie zum Abschied umarmte und gehen wollte, hielt Connie ihn fest. »Wird es heute gefährlich für dich?«, fragte sie.
    Er hatte ihr nichts davon gesagt, dass der entscheidende Einsatz bevorstand. Aber mittlerweile besaß sie einen guten Instinkt, an welchen Tagen es voraussichtlich brenzlig für ihn wurde. »Warum?«, fragte er.
    »Ich seh’s dir an, Eric. Geht’s schon wieder um diese Deutsche?«
    »Mach dir keine Sorgen.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich brate uns heute Abend Egg and Chips, und dann erzähle ich dir alles, ja?« Er küsste sie auf die Stirn. »Sag Tony, er soll sein Zimmer aufräumen. Wenn er schön Ordnung macht, bring ich ihm nachher etwas mit.« Sie einfach so an der Haustür stehen zu lassen, fiel ihm schwer. Aber wenn er jetzt Erklärungen abgab und herumlavierte, würde das ihre Angst nur verstärken. Er winkte noch einmal vom Gartenzaun, bevor er sich auf das Fahrrad schwang.
    Auf dem Weg zu Wormwood Scrubs dachte er an die Ehe seiner Eltern. Die war auch nicht immer leicht gewesen. Der Vater liebte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher