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Nachtauge

Nachtauge

Titel: Nachtauge
Autoren: Titus Müller
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schloss den Schrank und dachte nach. Das Ration Book bewies, dass sie nicht hungerte. Sie hatte es nicht nötig, Katzenfleisch zu essen. Tötete sie Katzen aus Vergnügen? Aber warum hob sie den Kadaver dann im Küchenschrank auf? Er hatte noch nie von einer Mörderin gehört, die Leichen sammelte, so abartig es auch war, dass jemand zum Vergnügen tötete, tote Körper in der Küche, in der man aß und lebte, nein, das konnte nicht sein.
    Angewidert öffnete er erneut den Schrank. Die Katze war kaum verwest, sie konnte noch nicht lange tot sein. Er roch an ihr und musste sofort niesen. Scharfer Chiligeruch biss ihn in die Nase.
    Eine tote Katze, die nach Chili roch … Das ergab keinen Sinn. Er suchte einen Pfannenschieber und schob ihn unter das Tier. Mit äußerster Überwindung hob er sie aus dem Fach und balancierte sie hinüber zum Küchentisch. Dort legte er sie ab. Hatte sie die arme Katze vergiftet? Mit dem Pfannenschieber tastete er über ihren Schädel. Erschlagen worden war sie nicht, der Kopf war intakt.
    Vielleicht war sie von allein gestorben, oder die Deutsche hatte sie ersäuft. Warum gab sie sich mit toten Tieren ab? Wer machte so etwas, wer fasste eine tote Katze an? Niemand, den er kannte, würde überhaupt in die Nähe eines Tierkadavers gehen, man wandte sich ab, betreten und angewidert.
    Genau das konnte natürlich ein Vorteil sein. Tote Tiere waren ein perfektes Kommunikationsmittel, wenn er es so recht bedachte: unverdächtig und von allen, bis auf den Empfänger, gemieden. So ließ sich auch der starke Chiligeruch erklären – sie musste die Katze mit Chilisoße übergossen haben, damit die Ratten nicht drangingen. Hatte sie bereits eine Botschaft an ihrem Körper befestigt? Oder hatte sie vorgehabt, die Aufträge, die sie heute vom Führungsoffizier empfing, mithilfe der Katze weiterzugeben? Sie konnte sie verschlüsselt niederschreiben und in einer kleinen Kapsel in der Katze verstecken. Den Kadaver konnte sie an einer verabredeten Stelle am Straßenrand deponieren.
    Das bedeutete, dass sie nicht allein arbeitete. Sie musste hier in London einen Partner haben, jemanden, dem sie die Botschaften übermittelte.
    Es klopfte an der Wohnungstür. Er griff reflexartig zur Waffe. Die Meisterspionin oder ihr Partner würden wohl kaum anklopfen, andererseits … Nein, das war das Schnaufen der Wirtin, er hörte es deutlich aus dem Treppenflur. Er öffnete.
    »Die Polizei ist unterwegs«, sagte sie und keuchte.
    War sie das Treppensteigen nicht gewohnt? Sie lebte offenbar im Erdgeschoss. »Den MI 5 haben sie ebenfalls benachrichtigt?«
    »Mir wurde gesagt, dass die das machen.«
    »Kommen Sie rein.« Er schloss hinter ihr die Tür. »Hatte Julia manchmal Besucher?«
    »Woher soll ich das wissen?«, sagte sie unwirsch.
    Sie war eine schlechte Lügnerin. Zu heftig kam ihre Antwort, es war der erkennbare Versuch, die Frage abzuwehren. »Sie wohnen hier. Da werden Sie sich doch erinnern, wen Sie im Haus gesehen haben.«
    »Ich bin nicht so eine, die hinter der Gardine hockt und das Kommen und Gehen der anderen beobachtet.«
    »Was arbeitet sie, wovon lebt sie?«
    »Miss Tremayne arbeitet im Kindergarten, als Köchin. Sie bereitet den Kindern Frühstück und Mittagessen zu. Sie ist keine gelernte Köchin, eigentlich war sie Büroangestellte, aber in diesen Zeiten …«
    Kinder wie Ella und Tony, betreut von einer deutschen Mörderin. Schon die Vorstellung schnürte ihm den Hals zu. Natürlich, im Kindergarten hatte sie leicht Arbeit bekommen. Seit Kriegsbeginn hatte man fast zweitausend neue Kindergärten eröffnet, damit die Mütter arbeiten gehen konnten, während die Väter in der Armee dienten. »Und sie hatte nie Besuch?«
    Die Wirtin wischte sich einen Schweißtropfen von der Schläfe. »Ich hab keinen gesehen. Was starren Sie mich so an?«
    »Sie belügen mich. Ich werde Sie zum Verhör ins Wormwood Scrubs bringen.«
    Erschrocken riss sie die Augen auf. »Aber ich habe nichts getan!«
    »Sie decken eine deutsche Spionin. Das ist Landesverrat. Und Julia Tremayne hat etliche Menschen auf dem Gewissen. Man wird Ihnen Beihilfe zum Mord nachweisen.«
    Ihr Hals bekam rote Flecken. »Wir … Wir konnten doch nicht wissen, wer das ist!«
    »Hören Sie mit den Lügen auf, und arbeiten Sie mit mir zusammen.«
    »Das tue ich. Wirklich.«
    Ihre Angst war echt, das spürte er. Was auch immer sie verbarg, ein Routinier war sie nicht. »Hatte Julia Männerbesuch?«
    »Nie. Sie geht immer kurz nach halb sieben
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