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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Ereignisse verwischt worden.
    Als der Cadillac bei den Slums hielt, zeigten sich der Indianerpriester Elk und seine Frau nach außen hin nicht überrascht. Joe nahm keinen Anstand, Familie Bergen in das Haus hineinzuführen und Elk berichten zu lassen, wie elend die Menschen hier lebten. Vater Bergen waren solche Verhältnisse von Arbeitslosen und solche Siedlungen ohne Wasserleitung nicht unbekannt, aber Caroline wurde von der neuen Erkenntnis vorübergehend erschüttert.
    Doch strebte sie nicht danach, mehr zu erfahren, sondern nahm die nächste kurze Gesprächspause wahr, um den Aufbruch einzuleiten. Joe und Elk begleiteten die drei höflicherweise zum Wagen.
    »Wollen Sie uns noch zum Hotel fahren, Joe?« schlug Carol vor.
    »Sie kennen die Stadt besser als wir«, fügte Jerome hinzu.
    Auf Joes ein wenig ironische Miene hin lud Vater Bergen ein: »Natürlich den Abend mit uns verbringen, Mister King – Sie sind unser Gast!«
    »Danke. Meine Schwester lebt hier.«
    »Aber dann können wir dort auch gleich vorbeifahren!«
    »Danke. Meine Schwester lebt hier in den Slums.«
    Familie Bergen war betreten.
    »Aber wie ist das möglich, Joe!« Caroline suchte nach einem Ausweg aus dem für sie nicht Vorstellbaren. »Welches Unglück hat Ihre Schwester hierher…?!«
    »Hierher verschlagen? Sie ist verheiratet, und ihren Mann hat das allgemeine Unglück des ungelernten Arbeiters getroffen, Miss Carol. Wie Elk es Ihnen eben schilderte. Für eine Gelegenheitsarbeit hierhergelockt, dann entlassen, jetzt in Mietschulden. Der Mann muß trampen, damit für die Kinder Unterstützung gezahlt wird. Die Reservationsrechte sind mit dem Verlassen der Reservation ein für allemal verloren.«
    »Oh! Ich dachte, das sind hier alles im Grunde minderwertige Leute. Aber Ihre Schwester…! Joe, kommen Sie doch zum Hotel mit. Wir müssen unbedingt besprechen, ob Sie nicht unser Fahrer werden können. Gefällt Ihnen unser Wagen?«
    »Er ist nicht schneller als der meine, Miss Carol.«
    »Ich unterstütze den Vorschlag meiner Tochter, Mister King.«
    »Meine Schwester hat recht, Joe. Das ist die Lösung!«
    »Wofür, Jerome?«
    »Wofür? Ihr Gehalt wird nicht schlecht sein. Sagen Sie, was Sie erwarten.«
    »Verständnis dafür, Jerome, daß ein Indianer wie ich noch mehr zu tun hat als zu chauffieren.«
    »Sie verdienen bei uns das Zehnfache und zehnmal leichter als mit Ihrer Büffelranch. Ich bitte Sie, fünf Büffel oder meinetwegen jetzt schon sieben – wenn die Kühe wirklich gekalbt haben. Das ist nichts als Hungerleiderei. Unter zweihundert lohnt es sich nicht, überhaupt anzufangen. Und noch dazu auf einer Reservation, in einer Art öder Erziehungsanstalt – also ich bitte Sie, es ist mir unverständlich, was Sie daran finden können, Joe.«
    »Eine Aufgabe, Jerome. Es ist mein Volk, das dort lebt.«
    »Was heißt ›Volk‹! Sie sind Amerikaner.«
    »Meine Vorfahren haben Amerika zuerst entdeckt. Ja, Sie haben recht, ich bin Amerikaner, und Sie sind Einwanderer. Als Ihre Vorfahren kamen, hatten wir noch keine Einwanderungsgesetze. Sie sehen, was daraus geworden ist.«
    »Tatsächlich, wir werden vorsichtiger sein! Sie wollen also nicht?«
    »Nein.«
    Carol kramte in ihrer Tasche. »Joe – was brauchen die Leute hier am nötigsten?«
    Joe King wirkte auf einmal feindselig. »Alles. Nur kein Trinkgeld.«
    »Joe, bitte, Sie wissen am besten, wie das zu verwenden ist…« Carol hatte hundert Dollar in der Hand.
    Joe nahm das Geld und war nahe daran, es ihr vor die Füße zu werfen. Aber er bezwang sich, denn für hundert Dollar konnten zwei ganz alte Wagen gekauft werden und zehn Personen täglich zu einer weit entfernten Arbeitsstelle fahren, auch Wasser holen. Joe steckte die Scheine ein, grüßte kaum und verschwand in Elks Haus.
    Die Mitglieder der Familie Bergen sahen sich der Reihe nach verblüfft an. »Typisch Indianer«, schloß Jerome. »Man wird aus diesem Volk nie klug.« Er ging ans Steuer.
     
     

Zurück auf der King-Ranch
     
    Nachdem der Cadillac sich in Richtung des besten Hotels von New City in Bewegung gesetzt hatte, verabschiedete sich Joe von Elk und besuchte seine Schwester in der Hütte. Margret schickte die Kinder mit dem Säugling, den die Älteste sorgsam wie eine Mutter trug, zu den Nachbarn.
    So blieben Joe und Margret wieder einmal unter sich. Auf Margrets Gesicht erschien die Traurigkeit, von der sonst niemand etwas wußte, nicht einmal Queenie. Es war keine Trauer aus besonderem Anlaß, sondern eine
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