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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern
Autoren: Ken Follett
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gehabt. Sie schämte sich ihrer Furcht.
    Die Notlandung hatte ihr Angst eingejagt, das plötzliche Auftauchen der Pistolen, der atemberaubende Rollentausch von Leuten wie Frankie Gordino, Tom Luther und dem Ingenieur, die Brutalität dieser hirnlosen Gewaltverbrecher in ihren gräßlichen Anzügen … Am meisten jedoch fürchtete sie sich, weil der schweigsame Mr. Membury jetzt tot am Boden lag.
    Vor lauter Angst wagte sie nicht, sich zu rühren, und deshalb schämte sie sich.
    Seit Jahren sprach sie nun davon, den Faschismus bekämpfen zu wollen – und nun bot sich ihr die Gelegenheit. Vor ihren Augen wurde Carl Hartmann von einem Faschisten gekidnappt, um nach Deutschland zurückgebracht zu werden. Und sie mußte tatenlos zusehen, weil sie vor Angst wie erstarrt war.
    Vielleicht konnte sie ja wirklich nichts ausrichten und setzte nur ihr eigenes Leben aufs Spiel. Aber ich sollte zumindest einen Versuch unternehmen, dachte sie. Schließlich habe ich immer wieder behauptet, ich wäre bereit, mein Leben für die gemeinsame Sache und das Andenken Ians zu riskieren.
    Vater hatte nur allzu recht: Meine Tapferkeit war nur gespielt, nur Angeberei. Mein Heldentum existiert nur in meiner Einbildung. Mein Traum als Kradmelder auf dem Schlachtfeld hin und her zu fahren ist nichts als eine Ausgeburt meiner Phantasie. Beim ersten Schuß verkrieche ich mich hinter der nächsten Hecke. In Momenten echter Gefahr versage ich völlig.
    Wie erstarrt saß sie da, und das Pochen ihres Herzens dröhnte ihr in den Ohren.
    Sie hatte kein Wort mehr gesprochen. Nicht, als der Clipper notwasserte, nicht, als die Gangster an Bord kamen, nicht, als Nancy und Mr. Lovesey in ihrem Wasserflugzeug erschienen. Und auch als der Gangster, den sie Kid nannten, bemerkte, daß das Boot abtrieb, und Vincini Kid und Joe fortschickte, um beim Vertäuen zu helfen, verhielt sie sich völlig still.
    Doch als sie sah, daß Kid und Joe in den Wellen untergingen, schrie sie auf.
    Sie hatte aus dem Fenster und auf das Wasser gestarrt, ohne wirklich etwas zu sehen, als die beiden Männer plötzlich in ihr Blickfeld kamen. Kid versuchte, sich über Wasser zu halten, aber Joe klammerte sich an seinen Rücken und drückte den Kameraden bei dem Versuch, die eigene Haut zu retten, immer wieder unter Wasser. Ein entsetzlicher Anblick!
    Unmittelbar nach ihrem Aufschrei stürzte Tom Luther ans Fenster und sah hinaus. »Sie sind im Wasser!« brüllte er mit sich überschlagender Stimme.
    Vincini sagte: »Wer – Kid und Joe?«
    »Ja!«
    Der Bootsführer warf ihnen ein Seil zu, aber die Ertrinkenden sahen es nicht. Joe schlug in panischer Angst um sich, und Kid wurde durch Joes Gewicht unter Wasser gedrückt.
    »So tun Sie doch etwas!« meinte Luther. Er war einer Panik nahe.
    »Was denn?« gab Vincini zurück. »Wir können nichts tun. Die Idioten sind zu blöde, um sich selbst zu retten!«
    Die beiden Männer wurden auf den Seeflügel zugetrieben. Wären sie ruhig geblieben, so hätten sie hinaufklettern und sich in Sicherheit bringen können. Aber sie sahen ihn nicht.
    Kids Kopf ging unter und kam nicht wieder zum Vorschein.
    Joe verlor seinen Halt an Kid und schluckte Wasser. Margaret hörte einen heiseren, durch die Schallisolierung des Clippers gedämpften Schrei. Joes Kopf ging unter, kam wieder an die Oberfläche, ging unter und ward nicht mehr gesehen.
    Margaret zitterte. Die beiden Männer waren tot.
    »Wie konnte das passieren?« fragte Luther. »Wieso sind sie hineingefallen?«
    »Vielleicht sind sie hineingestoßen worden«, meinte Vincini.
    »Von wem denn?«
    »Von jemandem, der sich irgendwo in diesem Scheißflugzeug verkrochen hat.«
    Harry! dachte Margaret.
    War das möglich? Konnte Harry noch an Bord sein? Hatte er sich während der Durchsuchung der Polizei irgendwo versteckt und war nach der Notwasserung wieder zum Vorschein gekommen? Hat Harry die beiden Gangster ins Wasser gestoßen?
    Plötzlich mußte sie an ihren Bruder denken. Percy war, kurz nachdem das Boot am Clipper festgemacht hatte, verschwunden. Margaret hatte angenommen, er wäre zur Toilette gegangen und hätte sich dort seither versteckt. Aber das paßte eigentlich nicht zu Percy. Er neigte eher dazu, sich in Szene zu setzen und Unfrieden zu stiften. Sie wußte, daß er einen Schleichweg zum Flugdeck hinauf gefunden hatte. Was führte er im Schilde?
    Luther fluchte: »Es läuft aber auch alles schief! Was sollen wir tun?«
    »Wir verdrücken uns wie geplant mit dem Wasserflugzeug: Sie, ich,
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