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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern
Autoren: Ken Follett
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erzählt, daß die ganze Familie schießen konnte, es war eine Art Marotte, von der sie alle befallen waren. Aber von Gangstern hatte der Junge bestimmt keinen blassen Schimmer. Wenn er sich ihnen in den Weg stellte, würden sie ihn abknallen wie einen tollwütigen Hund. Harry mochte den Jungen, aber auf seine Gefühle kam es jetzt nicht an. Alles, was zählte, war Margarets Wohlergehen. Er wollte nicht, daß sie miterleben mußte, wie ihr Bruder umgebracht wurde. Doch was, zum Teufel, konnte er, Harry, dagegen tun?
    Er kehrte auf das Flugdeck zurück und schaute hinaus. Das Wasserflugzeug machte gerade neben dem Boot fest. Die Neuankömmlinge würden entweder an Bord des Clippers gehen, oder die Leute vom Clipper würden in die kleine Maschine umsteigen. Auf jeden Fall würde in Kürze jemand durch das Cockpit kommen. Harry mußte für eine Weile von der Bildfläche verschwinden. Er schlüpfte durch die rückwärtige Tür hinaus, ließ sie aber angelehnt, um alles hören zu können.
    Es dauerte nicht lange, und jemand kam vom Passagierdeck herauf und ging durch den Bug. Ein paar Minuten später kamen ein paar Leute, zwei oder drei etwa, auf dem gleichen Weg zurück. Harry horchte ihren Schritten nach und kam wieder aus seinem Versteck.
    War Hilfe gekommen – oder hatten die Gangster Verstärkung erhalten? Er tappte wieder einmal im dunkeln.
    Er trat an die Treppe heran und zögerte. Schließlich beschloß er, das Risiko auf sich zu nehmen und auf halber Höhe der Treppe Horchposten zu beziehen.
    Er ging bis zum Treppenabsatz vor und spähte um die Ecke. Von dort aus konnte er die kleine Küche einsehen: Sie war leer. Was soll ich tun, wenn der Seemann auf dem Boot ebenfalls an Bord kommt? dachte Harry. Ich würde ihn ja rechtzeitig hören und könnte schnell im Herrenklo verschwinden. Stufe für Stufe schlich er weiter hinab, wobei er immer wieder innehielt, um zu horchen. Als er unten angekommen war, hörte er eine Stimme. Sie gehörte Tom Luther – ein gepflegter amerikanischer Akzent mit einem schwachen, irgendwie europäischen Beiklang. »Die Götter sind auf meiner Seite, Love- sey«, sagte er soeben. »Wir brauchen gerade ein Wasserflugzeug – und schon landen Sie neben uns. Sie können mich, Mr. Vincini und unsere Mitarbeiter über das Patrouillenboot der Marine hinwegtragen, das dieser verräterische Eddie Deakin alarmiert hat.«
    Harrys Frage war damit beantwortet. Das Wasserflugzeug sollte Luther und Hartmann zur Flucht verhelfen.
    Harry schlich sich wieder die Treppe hinauf. Bei dem Gedanken, daß der arme Hartmann den Nazis ausgeliefert werden sollte, wurde ihm ganz elend zumute, aber er hätte es wohl geschehen lassen – er war schließlich kein Held. Der junge Percy Oxenford aber war imstande, jeden Augenblick eine Riesendummheit zu begehen. Er, Harry, konnte nicht untätig zusehen, wie Margarets Bruder umgebracht wurde. Er mußte die Initiative ergreifen, ein Ablenkungsmanöver organisieren, Sand ins Getriebe streuen – um ihretwillen.
    Als er in den Bug hinuntersah, erblickte er ein Seil, das an einer der Streben vertäut war. Es brachte ihn auf eine Idee.
    Ja, es bot sich die Möglichkeit zu einem Ablenkungsmanöver, und vielleicht gelang es sogar, einen der Gangster loszuwerden!
    Als erstes mußte er die Taue lösen und das Schnellboot freisetzen. Er schlüpfte durch die Luke und kletterte die Leiter hinab. Sein Herz schlug rasend schnell. Er hatte Angst.
    Über das, was er sagen wollte, wenn ihn jemand ertappte, dachte er nicht weiter nach. Er würde sich auf der Stelle etwas einfallen lassen müssen, wie immer.
    Er durchquerte den Raum. Ja, es stimmte: Das Tau führte zu dem Boot hinüber.
    Er streckte sich nach der Strebe, löste den Knoten und ließ das Tau auf den Boden gleiten.
    Er spähte hinaus und bemerkte, daß ein zweites Tau vom Bug des Bootes zur Nase des Clippers führte. Verflucht! Jetzt muß ich auf die Plattform hinaus, dachte er, und dabei kann man mich sehen.
    Aber es war zu spät, um den Plan noch zu ändern. Er mußte sich sogar beeilen. Percy hockte dort hinten wie Daniel in der Löwengrube.
    Er trat auf die Plattform hinaus. Das Tau war um eine Ankerwinde geschlungen, die aus der Nase der Maschine herausragte. Er löste es in rasender Schnelle.
    Vom Boot her rief eine Stimme: »He, Sie, was machen Sie da?« Er sah nicht auf. Er hoffte nur, daß der Kerl nicht bewaffnet war.
    Er löste das Tau von der Ankerwinde und warf es in Meer.
    »He, Sie!«
    Er drehte sich um. Der
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