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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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Vorschein kommt. »Eine Zwangsjacke hab ich schon.«
    Endlich lächelt er und reicht mir eine so saubere Hand, daß ich sie nur zögernd ergreife. Er bittet mich, ihm zu folgen. Da ich gelernt habe, dem Feind niemals den Rücken zu bieten, lasse ich dem Professor den Vortritt, obwohl er nicht auf meiner schwarzen Liste steht. Er zuckt mit den Schultern und geht unter der sengenden Hitze mit hochrotem Kopf und nur schleppenden Schrittes voran.
    Die Anstalt erstreckt sich über ein weites Brachgelände. Ein ideales Plätzchen, um durchzudrehen. Außer einem Alten, der sich im Schatten eines Baumes gerade die Nase putzt, nichts als gottverdammte Trostlosigkeit. Zwischen wild wucherndem Gestrüpp recken sich armselige Behausungen wie Grabmäler. Die mit einem Vorhängeschloß gesicherten Türen sind schockierend, die vergitterten Fenster empörend. Trotz des auffälligen Benehmens ihrer Bewohner könnte man die Baracken für unbewohnt halten. Hierhin verkriechen sich die von der Gesellschaft geächteten Geschöpfe und warten auf ihre Beerdigung. Ich sehe sie vor mir, wie sie, den Blick ins Leere gerichtet, sich mit den Händen am Halbdunkel festklammern und zwischen zwei extrastarken Beruhigungspillen auf den Totengräber lauern, der ihnen nur widerwillig ein Loch gräbt.
    Ich habe mich auf Friedhöfen nie wohl gefühlt, aber eine Irrenanstalt bedrückt mich noch mehr. Es gibt keine fürchterlichere Hölle als ein Totenhaus, in dem lebende Wesen herumgeistern.
    Wir erreichen einen kiesbedeckten kleinen Hof vor einem furchteinflößenden Gebäude. Ein Kerl sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen am Eingang, auf dem Schädel einen spitzförmigen Papierhut. Als er uns sieht, richtet er sich auf, faltet die Hände unterm Kinn und grüßt uns wie ein buddhistischer Mönch.
    Das Arbeitszimmer des Professors könnte man in ein Taschentuch wickeln. Kaum größer als eine Abstellkammer, erinnert es mich an jene finsteren Räume im Untergeschoß der Kommissariate, wo die Hartgesottenen weichgeklopft werden. Ein Plastiktisch, ein zerschlissener Sessel, ein Metallstuhl und an der Wand eine Kinderzeichnung mit einem zweiköpfigen Hund. Daneben, auf einem Wandregal, ein altes Tonbandgerät russischer Herkunft, das mit seinen riesengroßen Spulen und seiner Pappabdeckung geradezu grotesk wirkt.
    Durch das vorhanglose Fenster sieht man auf ein ramponiertes Wasserbecken. Etwas weiter, an einem zerfallenen Mäuerchen, hält sich ein geistig Behinderter für einen Springbrunnen. Er pinkelt mit heruntergelassener Hose, wobei er sich um sich selbst dreht.
    »Er hat sich selber zum König der Raubtiere ernannt«, erklärt mir der Professor. »Jeden Tag Punkt halb zwölf ist er da und steckt sein Gebiet ab.«
    »Recht hat er.«
    »Einen Kaffee?«
    »Nein, danke.«
    »Dann einen Tee?«
    »Bin ich als Freund oder dienstlich hier?«
    »Beides.«
    »Dann genügt ein Glas Wasser.«
    Der Professor nimmt die Bestellung auf, aber er ruft niemanden. Ich begreife, daß sein Budget beschränkt und diese ganze höfliche Fragerei rein symbolischer Natur ist. Außerdem sehe ich nirgends eine Tasse oder eine Kanne, nicht einmal einen Aschenbecher. Wären da nicht ein paar zerknitterte Blätter, ein Rezept und ein unausgefüllter Ausgangsschein, man könnte den Ort auch für ein Pissoir halten, an dem niemand etwas zu beanstanden hätte.
    »Hier, sieh mal«, beginnt er und legt einen Aktenordner vor mich hin, aus dem er das Foto eines ziemlich schicken jungen Mannes herausnimmt. Daraufhin lehnt er sich in seinem Sessel zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
    Eingehend betrachte ich das Foto. Auf der Rückseite stehen, mit klecksendem Füller geschrieben, ein Datum, eine Seriennummer und irgendwelche Notizen. Ich fische mir ein paar Blätter aus der Akte heraus. Es handelt sich um Untersuchungsberichte, Empfehlungsschreiben an die Adresse eines Gefängnisdirektors und eine Karte aus der Straftäterkartei - eine Lektüre, die mit der Hitze, die mein Gehirn langsam austrocknet, unvereinbar ist.
    »Ich nehme an, ich soll jetzt meinen Grips anstrengen, um herauszufinden, worum es hier geht.«
    »Nicht unbedingt.«
    Der Patient draußen hat aufgehört zu pinkeln. Dafür postiert er sich nun vor dem Fenster und streckt uns sein Geschlecht entgegen wie andere ihr Krummschwert.
    Allouche stützt seine Ellenbogen auf den Tisch und klärt mich schließlich auf: »Niemand weiß, wo er herkommt. Irgendwann hat ihn der Storch gebracht. Was er zwischen
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