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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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und ich.«
    »Und Mama?«
    »Mama bleibt zu Hause. Irgend jemand muß ja schließlich unsere Ansichtskarten lesen.«
    Nadia lacht. Wenn meine Tochter so ausgelassen lacht, ist die Welt für mich in Ordnung. Aber ihre Fröhlichkeit ist von so kurzer Dauer, daß ich gar nicht dazu komme, mich davon anstecken zu lassen.
     
    2
     
    »Guten Tag, Herr Kommissar.«
    Ich schrecke hoch. Inspektor Serdj bleibt auf der Türschwelle stehen, bis ich ihn hereinbitte.
    »Ich bin fertig mit dem Bericht«, stammelt er, wie um sich dafür zu entschuldigen, daß er mein eintöniges Dasein ohne Vorankündigung gestört hat.
    Mit gönnerhafter Geste bitte ich ihn, Platz zu nehmen.
    Er legt einen Aktenordner auf meinen Schreibtisch und drückt sein knochiges Hinterteil auf den Stuhl. Serdj arbeitet sich halbtot. Seine Wangen sind so hohl wie seine Hintergedanken. Mit seinen weißen Haaren, seinem kümmerlichen Bart und dem schlotternden Anzug ist er nur noch ein Wrack, das selbst einen Obdachlosen vor Mitleid zerfließen lassen würde.
    »Du hättest dir damit nicht die Nacht um die Ohren schlagen müssen«, bemerke ich teilnahmsvoll.
    »Ich dachte, es sei dringend.«
    »Die Sache hat keine Eile.«
    Er senkt den Kopf.
    Ich lehne mich in meinem Sessel zurück, nehme den Ordner und blättere den Bericht durch.
    Serdj lauert auf meine Reaktion. »Gibt's ein Problem, Kommissar?«
    »Hm ...«
    »Wenn Sie wünschen, kann ich das Ganze noch weiter ausbauen.«
    »Deine Berichte waren immer in Ordnung. Das ist nicht der Punkt.«
    »Aber?«
    Ich sehe ihm scharf in die Augen. »Für wen ist das bestimmt?«
    »Für den Direktor von ...«
    »Und wer ist das?«
    »Na ja, ein Vorgesetzter.«
    Ich schüttle den Kopf, fassungslos wie ein Lehrer angesichts der Gedächtnislücken seiner schlechten Schüler.
    »Siehst du? Du wirst es nie begreifen. >Vorgesetzter<, das ist was für die Nonnen. In unserer Hierarchie gibt es auf jeder Stufe einen Gott. Die Typen sind hyperempfindlich, sie reiten wie verrückt auf dem Protokoll herum und sind so versessen auf kleine Geschenke, daß sie alles, was auf ihrem Schreibtisch landet, dafür halten. Und damit ein Bericht zu einer Gabe wird, muß er duften, hübsch verpackt und verschnürt werden. Und was machst du, Serdj? Du tippst dein Geschreibsel auf Durchschlagpapier, was sich unangenehm anfaßt und die Fingerkuppen rissig macht. Das ist nicht klug. Der Herr Direktor wird das als mangelnden Respekt auslegen. Möchtest du als reaktionär eingestuft werden?«
    »Nein, Kommissar.«
    »Also, dann nimm dein Geschmiere, und tippe alles noch mal auf ordentlichem Papier.«
    »In Ordnung, Kommissar.«
    Er sammelt seinen Papierkram ein und erhebt sich mit stoischer Miene.
    Als er schon an der Tür ist, rufe ich ihm noch hinterher: »Besorg dir extrastarkes, extraweißes Papier in 1a-Qualität und scharf wie eine Rasierklinge - falls der große Manitu auf die Idee kommen sollte, sich damit den Hintern abzuwischen.«
    Er nickt und verschwindet ebenso schnell wie ein Schatten.
    Im Kabuff nebenan schnurrt Baya, meine Sekretärin, wie ein junges Kätzchen. Ich sehe sie vor mir, wie sie sich windet, das Telefon zwischen Schulter und Kinn geklemmt. Mit Fünfunddreißig noch Jungfrau, hat Baya die Hoffnung auf einen Freier aufgegeben und nimmt anscheinend immer mehr mit dem Kontakttelefon vorlieb. Um das Gesicht zu wahren, tut sie natürlich so, als sei sie es, die sich nicht angeln lassen will. Einmal, weil sie kategorisch auf ihre Unabhängigkeit pocht, aber vor allem, weil sie es als demütigend empfindet, wenn eine Frau jede Nacht als Socke herhalten muß, in die Monsieur genüßlich einzudringen beliebt. Wenn das Telefon klingelt, macht sie sich trotzdem schnell noch ein bißchen zurecht, ehe sie den Hörer abnimmt.
    Die Unterhaltung dauert eine Ewigkeit. Während Baya wartet, daß dem Besessenen die Puste ausgeht, vergißt sie, mir die Briefe zur Unterschrift vorzulegen.
    Am Ende meiner Geduld, klingle ich nach ihr.
    »Sie haben mich gerufen, Kommissar?«
    »Allerdings!«
    Sie lächelt. »Ich höre.«
    Ihre Lippen sind zu stark geschminkt, was ihrem Mund etwas Obszönes verleiht, und ihre Haare, gestern noch kohlrabenschwarz, sind heute platinblond.
    »Donnerwetter, wie toll du aussiehst!« rufe ich aus.
    »Machen Sie sich nicht über mich lustig, Kommissar«, gluckst sie und wiegt sich dabei in den Hüften. Dann schaut sie mir gerade in die Augen. »Finden Sie?«
    »In dieser Aufmachung wirst du in der Zentrale wie ein Blitz
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