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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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einschlagen.«
    Früher war Baya hübsch. Sie kleidete sich dezent und gab sich unauffällig. Damals hatten die Männer etwas übrig für unauffällige Frauen. Das sah nach Tochter aus gutem Hause aus, also nach einer Anlage zum Arbeitstier, was in einer traditionell der Sklaverei anhängenden Gesellschaft eine sichere Investition bedeutete. Inzwischen hat sich die Einstellung verändert. Heute zieht man emanzipierte Mädchen vor, solche, die laut lachen und sich über Tabus hinwegsetzen. Sich zur Schau zu stellen ist zeitgemäß. Da nur derjenige etwas gilt, der auffällt, ist jeder bemüht, nicht unbemerkt zu bleiben, und wenn man sich dafür mitten in einer Moschee nackt auszieht. Baya gibt sich diesem Spiel bereitwillig hin. Jetzt, da sie davon ausgehen kann, als Jungfrau zu enden, versucht sie das Gesicht zu wahren, indem sie ihren Kopf zurechtstutzt, je nachdem, was gerade angesagt ist.
    »Was steht heute auf dem Programm?«
    Sie setzt eine ernste Miene auf und zieht den Rock über ihre Knie. Aber der Schlitz ist so tief, daß sogar ein Maulwurf das Muster ihres Slips erkennen würde.
    »Si [ (arab.) Kurzform zu Saiyid: mein Herr], Abbas hat abgesagt, Herr Kommissar. Er bittet Sie, ihn zu entschuldigen, und verspricht, sich so bald wie möglich mit Ihnen in Verbindung zu setzen«, liest sie aus ihrem Notizbuch vor. »Inspektor Redouane ist ohne Zwischenfälle am Bestimmungsort eingetroffen. Er kommt Ende der Woche zurück. Ihre Gattin bittet Sie, nicht zu vergessen, daß Sie sie um achtzehn Uhr abholen sollen . Und dann möchte ich Sie noch daran erinnern, daß Sie um elf mit Professor Allouche verabredet sind.«
    Ich sehe auf die Uhr. »Wie spät ist es?«
    »Zwanzig nach neun, Herr Kommissar.«
    »Meine Uhr geht also richtig. Lino meint wohl, heute ist Feiertag.«
     
    Baya schlägt sich mit der Hand gegen die Stirn.
    »Das ist meine Schuld. Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, daß der Lieutenant heute morgen angerufen hat. Er hat gesagt, daß es ihm nicht gutgeht. Eine heftige Grippe.«
    Ich presse die Kiefer aufeinander. »Falls er noch mal anruft, sag ihm, daß er einen Krankenschein abliefern soll, wenn er wieder zur Arbeit kommt. Er geht mir mit seinen ständigen Fieberanfällen allmählich auf die Nerven. Ich hoffe nur, er hat die Karre dagelassen.«
    Baya senkt betreten den Kopf.
    »Dieser Mistkerl! Wie soll ich jetzt hier wegkommen? Mein Zastava ist seit drei Tagen in der Werkstatt.«
    »Nehmen Sie doch den Wagen von Inspektor Serdj«, schlägt sie mir vor.
    Baya hat schon immer ein bißchen für Lino geschwärmt. Eine Art freundschaftliche und, wenn ich den Rücken kehre, überschwengliche Zuneigung. Ich nehme ihr das nicht übel, denn das stärkt auch den Kollektivgeist. Aber wenn sich diese Solidarität bisweilen auf Kosten meiner Autorität in Komplizenschaft verwandelt, spiele ich nicht mehr mit. Deshalb mache ich die Sekretärin darauf aufmerksam, daß an ihrem Rockschlitz ein Knopf fehlt und sie besser daran täte, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
     
    Professor Allouche ist ein bedeutender Psychoanalytiker. Er war mit Frantz Fanon befreundet. Aber was soll ein Gelehrter in einem revolutionären Land, in dem anerkannt ist, wer nicht das mindeste Talent besitzt, und das Genie für vogelfrei erklärt wird?
    Als Verfasser einer ganzen Reihe von Büchern, die mangels Abnehmern hierzulande allesamt in Frankreich veröffentlicht wurden (damals - wie übrigens noch heute und gewiß auch morgen - wachte die »Elite« des Serails ängstlich darüber, den IQ der Algerier auf der Höhe desjenigen ihrer Funktionäre zu halten, also in Höhe des Hosenschlitzes), war er allerlei Schikanen von selten der Obrigkeit ausgesetzt, die in seinen wissenschaftlichen Arbeiten subversive Machwerke witterten. Es ist in der Tat nicht einfach, einem Eseltreiber zu erklären, daß ein Buch nicht zwangsläufig ein antirevolutionäres Instrument sein muß, denn im Algerien der Roßtäuscher verstand sich Übereifer als höchster Ausdruck der Wachsamkeit und Verunglimpfung als das Hohelied des Treueschwurs. Man genoß es in vollen Zügen, das Dröhnen der Stiefel aus den Gefängniskellern zwielichtiger Villen widerhallen zu hören. Wie andere gutgläubige Leute wurde Professor Allouche einer sich als Heilsbringer ausgebenden Ganovenbande ausgeliefert, mehrmals entführt, eingesperrt, drangsaliert, scheinexekutiert und schließlich gezwungen, ins Exil zu gehen. Obwohl ihm sein Aufenthalt in Europa weltweite
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