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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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geschminkt und Kajal aufgetragen. Sie beehrt mich mit ihrem Madonnenlächeln und nimmt mir eilfertig meine Jacke ab. Ich lasse sie auflaufen. Gestern waren wir uns nicht ganz grün. Wegen Lappalien. Ich hatte schlechte Laune und habe mich ein bißchen gehenlassen. Als ich noch ein Knirps war, habe ich meinen Vater sehr bewundert. Ich erinnere mich nicht, ihn je lächeln gesehen zu haben. Er war ein richtiger Berber, ein d'arguez, stolz, streng und immer wie zugeschnürt. Wegen nichts schüttete er seiner Frau das Abendbrot in den Schoß und griff zum Knüppel. Und meine Mutter, die sich auf den Tod vor ihm fürchtete, schon wenn sie bloß seinen Schritt auf der Straße erkannte, brachte ihm nur um so mehr Ehrfurcht entgegen. Wenn er ihr, was selten geschah, mal ein Dankeschön sagte, schien es ihr, als höre sie einen Paradiesvogel flöten. Ich glaube, deshalb bin ich so ein Macho geworden. Meine beiden großen Söhne sind im Wohnzimmer. Mourad ist vorm staatlichen Fernsehprogramm eingenickt. Er schnarcht mit weit geöffnetem Mund, sein Kopf hängt über der Sessellehne. Neben ihm hat sich Mohamed, sein älterer Bruder, auf der Polsterbank ausgestreckt, den Blick an die Decke geheftet. Aus seiner Miene schließe ich, daß er kurz davor ist zu explodieren. Wenn es nach ihm ginge, würde er sich am liebsten mit Sack und Pack in ein imaginäres Wunderland auf und davon machen. »Hast du den Betriebsdirektor gesprochen?« frage ich ihn.
    »Ja doch«, antwortet er unwillig, denn er hat keine Lust, sich über seinen Ärger auszulassen.
    »War er unfreundlich?«
    »Nein, aber er hatte mir trotzdem nichts Ordentliches anzubieten.«
    »Zum Beispiel?«
    »Sesselfurzer.«
    »Du hättest annehmen und dich dann nach was Besserem umsehen sollen.«
    Er sieht auf seine Nasenspitze, um meinem Blick nicht standhalten zu müssen. »Ich hab doch nicht vier Jahre lang für nichts und wieder nichts an der Uni gebüffelt, Papa. Ich habe mein Diplom an der Ben Aknoun gemacht, immerhin als Bester in meinem Jahrgang.«
    Ich setze mich ihm gegenüber, um seine Gedanken besser zu ergründen.
    »Findest du, daß ich nicht genug unternehme, um dich unterzubringen, mein Junge?«
    »Das hab ich nicht gesagt.«
    »Aber du denkst es.«
    »Ich weiß, daß es nicht deine Schuld ist, Papa«, brummt er gereizt. »Dieses Land macht mich krank.«
    »Du hast kein anderes.«
    Mit einem Ruck setzt er sich auf und betrachtet seine Handflächen. »Das verstehst du nicht, Papa.« Murrend geht er in sein Zimmer.
    »Was versteht er nicht, dein Vater? Ich verbiete dir, in diesem Ton mit ihm zu reden, hörst du?« mischt sich Mina ein.
    Ich sehe gerade noch, wie mein Sohn müde abwinkt und im Flur verschwindet. Dann taucht Salim, der Jüngste, in der Tür auf, ein Heft vor der Brust.
    »Na, endlich! Ich warte schon seit Stunden auf dich«, sagt er und klatscht mir das Heft auf die Knie. »Diesmal übertreibt der Lehrer. Stell dir vor, wir sollen eine Oase beschreiben. Wo ich die Sahara noch nicht mal von weitem gesehen habe.« Nachdem er sich vergewissert hat, daß seine Mutter ihn nicht hören kann, flüstert er mir ins Ohr: »Machen wir einen Deal. Du hilfst mir ein bißchen bei den Hausaufgaben, und dafür wasche ich dir am Wochenende das Auto, einverstanden?«
    »Nichts da. Das ist deine Sache, damit mußt du schon allein klarkommen.«
    »Dann fahr mich auf der Stelle in die Wüste. Der Aufsatz muß morgen fertig sein.«
    »Geh in dein Zimmer und mach deine Aufgaben, und hör auf, deinem Vater in den Ohren zu liegen«, fährt Mina dazwischen, sie geht richtig auf in ihrer Beschützerrolle.
    Salim läßt sich das nicht zweimal sagen und tritt den Rückzug an, den Himmel verfluchend, der ihm solche egoistischen und an seiner Not desinteressierten Eltern beschert hat.
    Ich stehe gleichfalls auf und gehe in die Küche, um ein bißchen mit meiner Tochter Nadia zu schäkern. Nadia ist mein ein und alles. Mit ihren neunzehn Jahren verdreht sie allen jungen Spunden im Viertel den Kopf. Es spielt keine Rolle, daß sie der Mode ständig hinterherhinkt, sie braucht nur die Augen aufzuschlagen, um es an einem märchenhaften Abend mit Aschenputtel aufzunehmen.
    Sie wischt sich die Hände an der Schürze ab und umarmt mich.
    »Was brutzelst du uns denn zum Abendbrot?«
    »Bohnen.«
    »Und meine Zwiebelsuppe?«
    Sie zeigt auf einen Extratopf für mich.
    »Weißt du, worauf ich Lust hätte?«
    »Nein.«
    »Auf eine kleine Reise nach Taghit oder auch ins Hoggar-Gebirge, nur du
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