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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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Anerkennung und zahllose Auszeichnungen eintrug, stieg ihm das nicht zu Kopf. Wenn der Prophet nichts gilt im eigenen Land, so ist er ebensowenig Meister in der Fremde. Sehr rasch stellte unser hervorragender Wissenschaftler fest, daß die Achtung, die ihm seine westlichen Kollegen entgegenbrachten, nichts weiter war als eine verlockende Falle, daß die Preise, die man ihm verlieh, einen Nachgeschmack von Anzahlung hatten, und seine wissenschaftlichen Arbeiten einen politischen Anstrich erhielten, denn er verbrachte mehr Zeit in den Redaktionsräumen von Zeitungen und den Salons von NGOs als in den Universitäten. Man applaudierte ihm nicht mehr für seine Forschungen; man begrüßte seine Stellungnahmen gegen die Diktatur im heimatlichen Ble d [ (arab.) Bezeichnung für das Hinterland, die Provinz, einen abseits gelegenen Ort, der nur wenig zu bieten hat; auch im Sinne von Heimat verwendet.]. Die Leute, die zu ihm strömten, hatten Verbrechervisagen und ließen in ihrem Kielwasser Dokumente mit offiziellem Stempel treiben. Mit einem Wort, man behandelte ihn wie eine ganz gewöhnliche Marionette. Das traf ihn hart. Zwischen der Lauterkeit des Intellektuellen und den Schachzügen der Politiker, zwischen einem weidlich ausgenommenen Vaterland und einem prall gefüllten Portemonnaie mußte er einen klaren Schnitt vollziehen. Sich zwischen zwei Stühle zu setzen, vor allem wenn man die meiste Zeit seines Lebens ordentlich beschissen worden war, kam nicht in Frage. Der Professor schlug also kräftig zu. Er ließ Frankreich Frankreich sein und kehrte, gleich dem Lachs, der sich durch die tobende See nicht beirren läßt, zu seinem Heimatfluß zurück, wo ein Kieselstein zwar nicht die Pracht einer Koralle aufweist, ein Schilfrohr jedoch - anders als die krakenartig sich ausbreitenden gewöhnlichen Oleanderbüsche - etwas Erhabenes hat. Er lehrte an der Universität, bis zu dem Tag, an dem das Wissen auf den Müll geworfen wurde. Der Lernstoff wurde nun auf dem Niveau niedrigster Stammtischwitze diskutiert und die Diplome über den Weg ins Stundenhotel verteilt. Entsetzt versuchte Professor Allouche zu retten, was zu retten war, was seinen Kollegen, die sich weigerten, ihre Studentinnen auf dem bloßen Fußboden zu bespringen, außerordentlich mißfiel ... Kurzum, das Zeitalter des Krebsgeschwürs hatte das des Computers überflügelt. Irgendwo höheren Orts war der Weg für das Abdriften, das Professor Allouche in einer französischen Zeitung angeprangert hatte, schon bereitet. Resultat: sechs Monate Gefängnis wegen geheimer Verbindung zum ehemaligen Besatzer.
    Nach Verlassen des Kerkers verfügte der Professor nicht mehr über alle seine Fähigkeiten. Man verfrachtete ihn in eine Nervenheilanstalt und vergaß ihn dort. Heute weiß er nicht mehr, ob er observiert oder konsultiert wird. Er hat ein Büro am äußersten Ende eines heruntergekommenen Nebengebäudes und ein Zimmer im Stockwerk darüber, und er widmet sich voll und ganz seinen Patienten, denn jede andere Unternehmung wäre bedenklich, wenn nicht selbstmörderisch.
    Allouche erwartet mich auf dem Parkplatz der Psychiatrischen Klinik, die Hände auf dem Rücken und die Stirn in Falten. Der weiße Kittel verleiht seiner schlaksigen Gestalt etwas Gespenstisches. Lang wie eine Bohnenstange, Beine wie ein Stelzvogel und eine Wirbelsäule, die eine höchst besorgniserregende Kurve aufweist. Sein langes, schlohweißes Haar umflattert sein Gesicht wie eine Rauchfahne. Er kann seinen Kummer nur schlecht verbergen, seine Verzweiflung ist unübersehbar.
    »Noch eine Minute länger, und ich hätte einen Sonnenbrand«, sagt er. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, dann hält er den Daumen gegen die gleißende Sonne. »Man könnte meinen, es sei Juli.«
    »Der fünfte [ Am 5. Juli 1962 wurden die Verträge von Evian unterzeichnet, die Algerien seine Unabhängigkeit zusicherten.] oder der vierzehnte [ Französischer Nationalfeiertag. Der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 wurde zum Inbegriff der Französischen Revolution.]?«
    »Ich spreche von der Jahreszeit.«
    »Ach so .«
    Er zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich schief an. »Du bist wohl nicht gut aufgelegt?«
    »Das liegt in meiner Natur.«
    »Soll das heißen, daß du dich nicht freust, mich wiederzusehen?«
    »Im Gegenteil. Hier, in der Anstalt fühle ich mich am wenigstens verloren.«
    »Wenn es so ist, kann ich dich gern aufnehmen.«
    Ich schlage meine Jacke zurück, hinter der mein Halfter zum
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