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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier
Autoren: Yasmina Khadra
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du doch.«
    »Er will mich in seinem nächsten Werk erwähnen«, verkündet Monique und wippt dabei vor Entzücken.
    »Davon können wir uns auch nichts kaufen.«
    Mohand spielt den Eingeschnappten. Ich weiß, daß er mich gern hat und es mir übelnimmt, wenn ich ihn vernachlässige. Ein zweisprachiger Gelehrter und ein wandelndes Lexikon. Kein Autor ist ihm gleichgültig, keine Neuerscheinung entgeht ihm. El Mounfalouti, Konfuzius, die »Träumereien« von Rousseau und die umstrittenen Prophezeiungen von Nostradamus kennt er auswendig. Früher schaute ich regelmäßig bei ihm in der Buchhandlung vorbei, wo er mir seine Schätze zur Verfügung stellte. Ihm verdanke ich meine gesamte Lektüre, meine Liebe zu den Eigenarten jeder Kultur und einen Gutteil meiner eigenen literarischen Leistungen.
    »Du willst dein Abo verlängern?«
    »So ist es. Mir fehlt es in letzter Zeit an Einfällen, und da habe ich mir gedacht, wenn ich bei dir ein bißchen herumschmökere, entdecke ich vielleicht etwas, das ich mir abgucken kann.«
    Er verzieht einen Moment das Gesicht und fordert mich dann auf, ihm ins Hinterzimmer zu folgen. Hier stapeln sich die Bücher in einer Weise, daß wir hintereinander gehen müssen, um keine Lawine auszulösen. Mohand schiebt einen winzigen Hocker vor eine Reihe alter Wälzer mit angeschimmelten Deckeln, wischt ein Spinnennetz weg, sucht und sucht und steigt schließlich grübelnd wieder herunter.
    »Irgendwo hatte ich einen Akkad.«
    »Sachte, sachte. Ich bin doch kein Trapezkünstler«, erinnere ich ihn.
    »Ja, und?«
    »Man darf die Latte nicht zu hoch hängen.«
    Er runzelt die Stirn und steuert auf einen Stoß eingepackter Romane in einer Ecke zu.
    »Die sollten eingestampft werden«, erzählt er aufgebracht. »Moniques Bruder hat sie für mich gerettet. Stell dir das mal vor: Weil es nicht genug Käufer gibt, vernichtet man Tausende von Büchern, dabei brauchte man sie nur einer Bibliothek anzubieten, um ein ganzes Land glücklich zu machen.«
    »Du ißt also nur noch Reis.«
    »Es gibt im Leben auch noch was anderes als einen vollen Bauch ... Schau mal, hier hab ich was Interessantes«, fügt er hinzu und reicht mir einen dicken Schmöker. »Dieser Rachid Ouladj ist bei uns noch nicht sehr bekannt, aber er wird bald von sich reden machen.«
    »Ist das nicht der Kerl, der über den FLN [ (frz.) Abkürzung für Front de Liberation Nationale, die Nationale Befreiungsfront Algeriens, aus der nach der Unabhängigkeit (1962) das über Jahrzehnte hinweg alleinherrschende Einparteienregime hervorgegangen ist.] hergezogen ist?«
    »Sagen wir mal, er geht nicht gerade sanft um mit dem System.«
    Voller Verachtung schiebe ich das Buch weg. »Das kannst du behalten. Diese kleinen Reaktionäre auf Bestellung, die drüben auf der Ile Saint-Louis plötzlich ihr Talent entdecken, die kenne ich zur Genüge.«
    »Was redest du da? Du hast ja nicht mal drin geblättert.«
    »Nicht nötig. Das Strickmuster ist immer dasselbe.«
    Mohand ist empört über mein Genörgel. Aber ich lasse mich nicht davon abbringen. Was ich sage, ist ja nur das übliche Gerede, das jeder Schriftsteller hierzulande angesichts des literarischen Erfolgs eines Berufskollegen von sich gibt, ganz besonders, wenn jener in Frankreich Aufsehen erregt. Sollte ich, Brahim Llob, unbestechlicher Beamter und phantasieloses Genie, eines Tages am Sternenhimmel glänzen, hielte man mich mit Sicherheit für einen Schreiberling im Sold des Regimes, bloß weil ich Bulle bin. Oder für einen Vorzeige-Araber, wenn mich die Medien jenseits des Meeres beweihräuchern würden. So ist das eben in Algerien. Wir finden ein boshaftes Vergnügen daran, beim Erfolg der anderen gleich an Ketzerei oder Verrat zu denken.
    Was soll's. Es gibt nun mal Menschen, die so veranlagt sind: durchtrieben, weil sie unfähig sind, aufrecht zu gehen, schlecht, weil sie den Glauben verloren haben, und unglücklich, weil sie das im Grunde wunderbar finden.
    Seit es uns Algerier gibt, haben wir niemals wirklich daran gedacht, uns mit unserer Wahrheit zu versöhnen. Und was für ein Heil soll man einer Nation verordnen, wenn ihre besten Söhne, die berufen wären, das öffentliche Gewissen wachzurütteln, als erstes ihr eigenes aufgeben?
    Nach einigem Hin und Her entscheide ich mich für einen Driss Chrai'bi und beeile mich, die Örtlichkeiten zu verlassen, denn der muffige Geruch fängt an, mein wichtigstes Arbeitsinstrument ernsthaft anzugreifen.
     
    Mina hat sich die Lippen
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