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Nacht der Geister

Nacht der Geister

Titel: Nacht der Geister
Autoren: Kelley Armstrong
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zwinkerte und sah Wellen aus Gras; sie stiegen und fielen auf dem hügeligen Gelände, wiegten sich im Wind. Ein Ozean aus Gras.
    Früher einmal hätte mich das überrascht, aber nach drei Jahren des Reisens in der Geisterwelt habe ich ein paar ziemlich merkwürdige Landschaften gesehen. In den unbewohnten Gegenden sind Ebenen üblich, riesige leere Landstriche aus Fels oder Sand oder Gras. Ich bin sogar einmal auf eine Ebene aus Lava gestoßen. Nicht angenehm . . . schon gar nicht, nachdem ich festgestellt hatte, dass sie nicht so unbewohnt war, wie sie zunächst wirkte. Bei diesem Gedanken spähte ich nach unten in das hohe Gras. Es sah nicht so aus, als wäre irgendwas dort unten, aber sicher konnte man sich da nie sein.
    Ich sah auf. Himmel. Ein Nachthimmel, bewölkt.

    »Okay«, rief ich den Parzen zu. »Ihr könnt mir das Nachsitzen ersparen, ich mache meine Hausaufgaben.«
    Ein hohes Lachen antwortete mir. Ich bin mir sicher, dass die kindliche Parze den Streich zum Kichern gefunden hätte, aber die Stimme klang zu alt für sie, und keine ihrer Schwestern war der kichernde Typ.
    Als ich sonst keine Antwort bekam, ging ich dem Lachen nach. Wenn es in dieser Einöde der Geisterwelt noch jemanden gab, dann war es vermutlich niemand, dem ich unbedingt begegnen wollte, aber ein bisschen Gefahr würde wenigstens Abwechslung in die Sache bringen.
    Der Wind begann zu heulen, als er stärker wurde, und schnitt durch meine dünne Bluse. Ich erwog, mir eine Jacke herbeizuwünschen, ließ es dann aber bleiben. In der Geisterwelt kann man Wochen, Monate, sogar Jahre verbringen, ohne jemals Temperaturen zu verspüren, die über angenehm warm oder angenehm kühl hinausgehen. Hin und wieder war etwas Unbehagen gar nicht so übel. Ich stieg hinunter in eine tiefe Mulde, die mich vor dem Wind schützte, und rieb mir die Ohren. Als sie aufzutauen begannen, wurde mein Gehör besser. Nicht, dass es viel zu hören gegeben hätte nur das Pfeifen des Windes über mir. Nein, Moment, da war noch etwas anderes. Ich legte den Kopf schief, um zu lauschen. Ein Aufschlag, dann ein rutschendes Geräusch. Stille. Bums, wusch. Stille.
    Ich bereitete eine Energiestoßformel vor.
    Das dumpfe Geräusch konnte von langsamen Schritten stammen. Aber das Rutschgeräusch? Darüber wollte ich lieber nicht nachdenken.
    Mit dem nächsten Aufschlag hörte ich ein Kreischen wie von Nägeln auf einer Schreibtafel. Ein gemurmelter Fluch. Ein kurzer Wortwechsel, eine männliche Stimme, eine weibliche.
    Ein Grunzen. Ein Plumps. Dann ging es wieder los. Bums, wusch. Bums, wusch.
    Ich sprach eine Verschwimmformel wenn sie in dieser Dimension funktionierte, würde sie meine Gestalt weit genug verschwimmen lassen, dass ich mich an allem vorbeischleichen konnte, was nicht gerade nach mir Ausschau hielt. Ich stieg zum Rand der Mulde hinauf. Keine sechs Meter entfernt stand eine junge Frau mit einer Taschenlampe in der Hand. Ich machte ein paar hastige Schritte den Hang hinunter und schärfte meinen Gesichtssinn.
    Ich spähte über die Kuppe. Die Frau leuchtete mit der Taschenlampe, während ein Mann ein Loch grub. Daher kam das Geräusch der Aufschlag, mit dem sich die Schaufel eingrub, das Herunterrutschen der Erde, wenn er sie zur Seite warf.
    Sie waren beide Mitte zwanzig. Der Mann war klein und dünn und hatte eine Mähne von fettigem Haar. Die Frau war blond und trug das Haar zu einer grauenhaften, längst aus der Mode gekommenen Frisur aufgetürmt. Ihre Kleidung war ebenso altmodisch Minirock, hohe Stiefel und ein leichter, dreiviertellanger Mantel. Überraschend war das nicht.
    In der Geisterwelt gewöhnt man sich daran, eine Modenschau aus der Vergangenheit zu sehen. Viele Geister bleiben bei dem Stil, der ihnen im Leben gefallen hat. Na ja, es sei denn, zu diesem Stil gehören Korsetts und ähnliche Folterinstrumente.
    Hier hatten wir also zwei Geister aus den Sechzigern . . . oder den Siebzigern. Das war die Zeit gewesen, in der ich aufgewachsen war, und die beiden Jahrzehnte verschwammen für mich zu einer formlosen Masse von Miniröcken, gebatikten TShirts, GogoStiefeln und Discomusik.
    »Tief genug?«, fragte der Mann und rieb die Hände gegeneinander. »Scheißkalt heute Abend hier draußen.« Die Frau beugte sich vor und spähte in das Loch, dann nickte sie. Sie legte die Taschenlampe auf den Boden, und beide verschwanden in der Dunkelheit. Als sie zurückkamen, trugen sie ein langes, eingewickeltes Bündel.
    »Es ist nicht lang genug«, sagte die
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