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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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gewesen war, hatte sich als Mordmaschine erwiesen. Er spürte keinen Drang heimzukommen, es gab dort niemanden mehr. Welchen Sinn machte das Leben noch? Er hat sich dann, auch dank der Unterstützung der Kameraden, trotz allem für das Leben entschieden und es später als neue Chance begriffen. Wir Kinder aus der zweiten Ehe waren ein Geschenk für ihn. Er hatte die Krise überstanden, er war weitherzig aus ihr hervorgegangen. Sein Glaube, sein Weltbild, auch seine Haltung in Erziehungsfragen waren toleranter geworden. Er hat nach dem Krieg und der Gefangenschaft zunächst sieben Jahre auf dem Bauernhof seiner Eltern mitgearbeitet. Da konnte er zur Ruhe kommen, das hat ihn geerdet. Es berührte ihn sehr, dass er noch einmal Kinder hatte.
    Irgendwann muss er bei meiner Mutter eine Generalbeichte abgelegt haben, und Mutter hat uns das weiter erzählt, was sie für wichtig hielt. Sie war von Anfang an hitlerskeptisch, weil es »gegen die Kirche« ging. Meine Mutter war sozusagen durch ihre Frömmigkeit immun und bezog ihre Haltung aus dem Grundsatz: Wer die Kirche angreift, ist nicht gut. Sie hat im Dorf deutlich mitbekommen, welche Loser plötzlich als Nazis Bedeutung bekamen und andere schikanierten.
    In meiner Wahrnehmung war mein Vater ein aktiv Mitgestaltender des NS-Regimes, daher deutlich auf der Täterseite, er hat das nicht geleugnet. Als Jugendliche haben meine Geschwister und ich meinen Vater sehr attackiert. Anlass war vor allem der Mehrteiler »Holocaust« im Fernsehen. Wir machten ihm Vorwürfe. Sonderbarerweise hat er sich nicht angegriffen gefühlt |285| oder gekränkt reagiert. Er hat verstanden, dass uns das Thema nicht loslässt, dass wir damit ringen. Wir fragten: »Was habt ihr gewusst?« Da blieb mein Vater eher verschwommen. Was er wusste und mitbekommen hat, das hat er nie genau gesagt. Die Antworten meiner Mutter, obwohl sie wesentlich jünger war, waren auch hier viel klarer und für mich sicher auch leichter zu erinnern. So hatte ihre Mutter 1937 mitbekommen, wie ein jüdischer Viehhändler einem Nachbarn Geld für eine Kuh gegeben hat. Der Nachbar hat das dann später bei der Polizei abgestritten und den Viehhändler angezeigt, weil er dachte, dem Juden glaubt ja sowieso keiner. Oma hat dann vor Gericht zugunsten des Juden ausgesagt, und das Gericht hat den Nachbarn zur Rechenschaft gezogen. Die Beziehung zur Nachbarschaft war dann allerdings die nächsten 40 Jahre ruiniert. – Die Justiz war damals noch nicht überall gleichgeschaltet, und für meine Oma war es das erste Mal, dass sie vor Gericht erscheinen musste.

Geschichten ja, aber kein Überblick
    Mein Vater wurde im Alter noch weicher und nachdenklicher. Er konnte sehr gut erzählen, zum Beispiel, wie sie sich im Balkan an den Mauleseln gewärmt haben in den kalten Winternächten. Er sagte, er sei nicht in aktive Kriegshandlungen verwickelt gewesen. Fotos aus dieser Zeit erzählen auch nichts vom Krieg, sondern eher von Geselligkeit. Er erwähnte zwar Stress mit Partisanen, aber nichts von Toten. Was er mitbrachte und was blieb, waren die Malaria und ein paar Münzen aus Albanien. Es gibt einfach Sachen, die im Nebel sind. Man fragt sich: Was war zwischen den Mauleseln und der Malaria? Selbst wenn du in der Nachhut bist und den Sold verwaltest, kommst du dann nicht zwei Tage später dorthin, wo die Vorhut war und die Leute umbrachte? Aber das hat er nicht erzählt.
    Mein Vater war anders als viele andere Väter, gelassener. Er hatte durch das, was er durchgemacht hat, gelernt, das Wichtige |286| vom Unwichtigen zu unterscheiden. Unsere pubertären Exzesse hat er mit Verständnis begleitet. Er sagte: »Ich habe damals, als ich in eurem Alter war, auch nichts getaugt.« Er blieb sogar ruhig, als ich von der Schule flog. Nein, streng war er nicht – das musste er auch nicht sein, weil Mama und Oma es schon waren.
    Wir wurden in erster Linie von der Oma, der Mutter meiner Mutter, aufgezogen. Sie schimpfte viel, einige Male schickte sie uns ohne Essen ins Bett, gelegentlich verteilte sie Ohrfeigen. Damit war auch bei den Erwachsenen in der Nachbarschaft zu rechnen. Man musste schnell sein, sonst – zack – hatte man einen Wischlappen am Ohr. Großmutter war herrisch, eine Patriarchin, mein Vater dagegen freundlich und warmherzig. Dass er als Kind mit Gewalt erzogen worden war, wollte er an uns nicht wiederholen. Mit schlechten Schulnoten hielt er sich nicht lange auf.
    Kürzlich wurde ich gefragt: Was machst du bei deinen Kindern
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