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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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war rundlich, aber sehr beweglich. Eine meiner frühen Erinnerungen: Er lief auf den Händen! Das konnte er länger als jeder andere, den ich kannte. Er hatte große Hände, in meinen Augen regelrechte Pranken, doppelt so breit wie meine. Man sah, er hatte früher viel mit den Händen gearbeitet. Vor allem aber war mein Vater jemand, den man gern berührte. Für mich war er wie ein kuscheliger Bär.
    Ich habe als Kind lange im Zimmer meiner Eltern geschlafen. Sonntagmorgens bin ich oft zu meinen Eltern ins Bett gekrabbelt und dann meistens zu meinem Vater. Meine Mutter sprang immer schnell aus dem Bett, um den Alltag anzupacken. Sie war |280| auch keine Knuddelmama. Sie war eher ein dürrer und knochiger Typ, das habe ich von ihr geerbt. Wenn Papa so dalag, wenn ich seine Hand gesehen habe, dann musste ich sie anfassen.
    Das war bis zuletzt so.
    Ich hatte einen relativ alten Vater, er war schon 68 Jahre alt, als ich das Abitur machte. Ich war der Jüngste von drei Geschwistern. Auf seinem Nachttisch stand das eingerahmte Foto eines kleinen Kindes. Es war keines von uns Dreien. »Das ist der Hartmut«, wurde mir gesagt. Später erfuhr ich es dann genauer: Der Hartmut war das Kind von meinem Vater und der »Tante Grete«. Diese Tante Grete war keine wirkliche Tante. Es war die erste Frau meines Vaters. Tante Grete war tot, sie lag auf einem Friedhof in einer nahe gelegenen Stadt. Auch Hartmut war auf diesem Friedhof beerdigt. Mindestens einmal im Jahr sind wir dort hingefahren. Meine Eltern nahmen uns Kinder regelmäßig dorthin mit. Während die Erwachsenen die Gräber von Tante Grete, Hartmut und den anderen verstorbenen Angehörigen von Tante Grete pflegten, durften wir Kinder auf diesem Friedhof spielen.
    Bis heute fühle ich mich auf Friedhöfen zu Hause. Leider liegen meine Eltern auf einem Ort, der sehr ungemütlich ist, da fegt der Wind durch und es gibt keinen Schutz. Ich gehe nicht so gern zu diesem Grab, denn an einem Ort, wo man friert, komme ich nicht zur Ruhe. Als mein Vater starb, war er 88 Jahre alt.

Die erste Familie starb bei einem Luftangriff
    Es gab nicht diesen einen besonderen Tag, an dem ich vom Unglück meines Vaters erfuhr, ich nahm es als Kind nach und nach auf. Es war eher wie eine sickernde Botschaft. Der Tod der ersten Familie meines Vaters ereignete sich im Januar 1945. Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt als Soldat auf dem Balkan. Seine Familie, seine Frau Grete und der kleine Hartmut und weitere enge Verwandte wohnten in einer Stadt im Rheinland. Ein Umzug stand bevor. Sie wollten aufs Land ziehen, um sich vor den Bombenangriffen |281| zu schützen. Doch es war sehr kalt in diesem Januar, und die Familie beschloss, die Abreise ein paar Tage aufzuschieben. Das Pferdefuhrwerk kam, es wurde mit Möbeln und Hausrat beladen und vorausgeschickt. Drei Tage später brach die Familie auf. Auf dem Weg zum Bahnhof mussten sie wegen eines Luftangriffs in einen Bunker fliehen. Eine Bombe fiel seitlich auf das Haus und der Luftschutzbunker wurde von der dadurch ausgelösten Druckwelle zugeschüttet. Alle Menschen, die dort Schutz gesucht hatten, starben. Unter den Verstorbenen waren Grete, der kleine Hartmut, die Schwägerin meines Vaters mit ihrem Kleinkind und die Schwiegermutter.
    Der Teil der Familie, in die mein Vater damals eingeheiratet hatte, kam bei dem Angriff ums Leben – nur die Möbel, die waren gerettet. Bei uns zu Hause war es daher so: Alle Sachen, die relativ gut und eher modern waren, die kamen aus diesem städtischen Haushalt und die derben und handfesten Möbel vom Lande. Ein Rosenthalservice oder einen Schrank mit feinen Perlmutttürknöpfen gab es ja üblicherweise nicht in einem Bauernhaushalt. So wuchsen wir in zwei verschiedenen Sorten von Möbeln auf. Sie haben uns begleitet, teilweise bis heute. In meinem Esszimmer steht ein Schrank der ersten Familie meines Vaters.
    Die Fakten und Zusammenhänge zu dem tragischen Tod kamen von meiner Mutter. Sie war eine nüchterne und ganz klare Erzählerin. Eine gute Chronistin mit einem hervorragenden Gedächtnis, sie beschönigte nichts. Wenn mein Vater über den Verlust seiner ersten Familie sprach, kamen schnell die Tränen. Er hat immer mit viel Herz erzählt. Bei ihm konnte ich deshalb auch emotional immer gut andocken. Ich verstand, was ihn berührte. Für die Fakten war die Mama zuständig. Eine Frage der Art: Wie konnte die Bombe die Menschen im Luftschutzbunker töten? – die hätte ich ihm so nicht stellen können, aber ihr
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