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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder
Autoren: Sabine Bode
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schon.
    Meine Mutter war 13 Jahre jünger als mein Vater, der 1911 geboren wurde. Wie meine Mutter kam auch er auf dem Land zur Welt. Als junger Mann war er in die Stadt gegangen. Er hatte sich |282| seinen rheinischen Dialekt abgewöhnt und legte Wert auf elegante städtische Kleidung. Seinen Beruf als Bäcker konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Er machte eine Umschulung – so würde man es heute nennen – zum kaufmännischen Angestellten. Aber auf schöne Weise blieb er in unserem Familienalltag mit seinem Handwerk verbunden: Jeden Freitag hat er mit uns gebacken. Ich habe viel von meinem Vater mitbekommen, nicht nur, weil er abends schon um fünf Uhr nach Hause kam, sondern vor allem in der Zeit, in der er bereits Rentner war, denn damals ging ich noch zur Schule. Ich habe diese Jahre sehr genossen.

Gartenarbeit als Meditation
    Ein Bildungsbürger war er nicht, er hat die Zeitung gelesen, später hat er sich für Bücher mit religiösen Inhalten interessiert. Für meine Eltern war der Garten der Ort, wo man sie immer gefunden hat, jeder in seinem Revier. Sie haben sich die Arbeit aufgeteilt. Im Garten haben sie sich sortiert, ihr Leben beackert und geerntet. So sah ihre Meditation aus. Meine Mutter war eine ganz pragmatische, handfeste Frau, die keine bewegenden emotionalen Äußerungen von sich gab. Für mich war es schwieriger mit ihr, weil sie viel geredet und erzählt hat, ohne dass sie innerlich beteiligt war. Sie konnte sich lange mit Banalitäten aufhalten, in meinen Augen Nichtigkeiten. Meine Eltern sind respektvoll miteinander umgegangen, es gab auch Zärtlichkeit, sie mochten sich. Sicher war meine Mutter ein gutes Korrektiv, eine gute Ergänzung für den Vater; sie hat ihm Halt gegeben und sie hat ihn so gelassen, wie er war.
    Mein Vater war Mitglied der NSDAP gewesen, auch Parteisekretär. Aufgestiegen ist er weder in der Partei noch in der Wehrmacht. Er war nach meiner Einschätzung auch später nicht ehrgeizig. Meine Mutter hat einmal angedeutet, dass seine erste Frau, eine Angestellte in einem Modegeschäft, vom NS-Regime sehr überzeugt |283| gewesen sei und meinen Vater sozusagen mitgerissen habe. Ob das allerdings eine späte Beschönigung war, weiß ich nicht. Mein Vater war Anfang der 30er Jahre auch Mitglied bei den »Deutschen Christen«, die dem Nationalsozialismus nahe standen. Er hat sich 1942 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, nach seiner Darstellung, weil er es nicht aushielt, zu Hause am Schreibtisch zu sitzen, während die anderen Männer im Krieg waren. Im besetzten Frankreich war er zuständig für Gehaltssachen, er hat den Sold ausgezahlt. Viele Jahre später, als Angestellter der Bundeswehr, hatte er auch wieder mit dem Sold zu tun.
    Mein Vater erhielt die Nachricht vom Tod seiner Familie an der Front. Zum Begräbnis bekam er Kurzurlaub. Dann musste er wieder zurück in den Krieg. Er erkrankte an Malaria. In Österreich ist er als Obergefreiter in amerikanische Gefangenschaft geraten.
    Ich habe wohl schon früh gespürt, dass es in meinem Elternhaus Geheimnisse gab, die aus einer anderen Zeit stammten. Alles Alte war mir immer sehr nah. Als Kind habe ich begonnen, alte Sachen und alte Menschen zu sammeln. Die Geschichten von den Älteren haben mich immer interessiert. Ich umgebe mich bis heute gern mit Gegenständen, die, wenn sie könnten, viel zu erzählen hätten. Eines meiner Lieblingsstücke ist ein alter Sessel aus dem Nachlass meiner Großmutter.

Alte Bücher und Briefe auf dem Dachboden
    In meinem Elternhaus gab es wenige Bücher, die Bedeutung hatten, bis auf die Bibel und das Gesangbuch. Auf dem Speicher allerdings öffnete sich eine ganz andere Welt: Dort gab viele alte Bücher, schwere Briefmarkenalben, auch Briefe. Ich bin als Kind oft auf den Dachboden geschlichen und habe alles vorsichtig gesichtet. Briefe von Tante Grete aus der Kriegszeit, Feldpostbriefe, die habe ich versucht zu entziffern, nicht so einfach, weil in Sütterlin geschrieben.
    |284| Eines Tages entdeckte ich Briefe aus Vaters Gefangenschaft. Daraus ging hervor, dass Mitgefangene auf ihn aufgepasst haben, damit er sich nicht umbrachte. Nicht weil es ihm schlecht ging – er wurde zu seiner eigenen Überraschung im Lager fair behandelt und war gut versorgt, weil er in der Küche arbeitete –, sondern weil er keinen Sinn mehr in seinem Leben sah. Doch das konnte ich erst verstehen, als ich erwachsen war. Seine Familie war tot, das politische System, von dem er überzeugt
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